Mads Ananda Lodahl: Sauna
Buch
In Dänemark sorgte Mads Ananda Lodahls Debütroman „Sauna“ für einiges Aufsehen.
Die altehrwürdige Tageszeitung Politiken charakterisierte die Liebesgeschichte zwischen dem Studenten Johan und dem trans Mann William als „zarten, harten und erschütternden Roman, der nicht davor zurückschreckt, das infrage zu stellen, was wir für gegeben hinnehmen“, Regisseur Mathias Broe verarbeitete den Stoff in einer Verfilmung. Bevor letztere im November in den Kinos des deutschsprachigen Raums startet, kam im September bereits die deutsche Übersetzung des Romans von Andreas Donat heraus. Kevin Junk hat das Buch gelesen, mit den Protagonisten mitgefiebert und mitgelitten, vor allem aber eine Geschichte entdeckt, die bis jetzt viel zu selten erzählt wurde.

So viele Jungs!
von Kevin Junk
Die Sauna nimmt in der Topographie schwuler Orte einen ganz besonderen Platz ein. Sie ist Teil von schwuler Cruising-Kultur, historisch wie aktuell. Auch wenn in den letzten Jahren viele Saunen geschlossen haben, sind die wenigen, die geblieben sind, noch immer Orte, an denen wie kaum anderswo Begegnungen möglich sind. Die Sauna, anders als der Club, macht verwundbar, weil wir uns dort nackt bewegen müssen. Begehren wird hier zwischen Holzbrettern, Schweiß und glühenden Steinen verhandelt. In Mads Ananda Lodahls Roman „Sauna“ scheint es zunächst auch genau darum zu gehen. Johan, mehr oder weniger Student, will sich was dazu verdienen und heuert in der schwulen Sauna „Adonis“ in Kopenhagen an. Er findet sich schnell in seinen neuen Job ein, lernt die Stammgäste kennen, arrangiert sich mit seinem strengen und leicht neurotischen deutschen Chef. Die Sauna selbst ist zunächst nicht sein Fall, dennoch erzählt er uns mit Neugierde und Leichtigkeit von seiner Arbeit und seinen kleinen Abenteuern – eine Millieu-Studie mit einem jungen Ich-Erzähler, der seine Freiheit, Geilheit und Unabhängigkeit entdeckt.
Bis William auftaucht. William fällt auf, weil er sich, anders als in der Sauna gefordert, nicht nackt bewegt, sondern in Sportklamotten. Als William und Johan Nummern austauschen, wirkt es noch so, als wäre alles eine Begegnung, die sich vorhersehbar entfaltet: Meet-Cute, Affäre, Grenzen aushandeln. Aber William öffnet sich erst für die Anbandlungsversuche, als Johan direkter und forscher wird – indem er andeutet, dass Johan vielleicht eine falsche Vorstellung von ihm und seinem Körper habe.
Mit großer Leichtigkeit und einem Gespür für Scham, Zurückhaltung und mögliche Klischee-Fallen, erzählt der Roman davon, wie sich zwei Jungs ineinander verlieben. Johan sagt: „Es gab so viele Jungs auf der Welt. Kaum, dass man auf die Straße ging, liefen sie einem über den Weg, alle waren sie verschieden.“ Dass William trans ist, verwirrt Johan nur kurz. Mit Neugier und Einfühlungsvermögen beginnt er, William und dessen Körper kennenzulernen. Die Sexszenen spiegeln, was junge Beziehungen ausmacht: tollpatschig und gierig sind die beiden einerseits mittendrin und gleichzeitig noch am Erkunden. Johan gibt sich Mühe, will für William da sein und übernimmt gerne Verantwortung, soweit er kann. Er will, dass William glücklich ist.

Mads Ananda Lodahl – Foto: Sara Galbiati
Als William sich dazu entschließt, eine Mastektomie vorzunehmen, begleitet Johan das Vorhaben. Doch er merkt auch, dass da etwas bei William passiert, was er nicht teilen kann und wovon er immer ausgeschlossen sein wird. Als William erzählt, dass er sich mit einem anderen trans Mann ausgetauscht hat, der in seiner Transition schon weiter ist, mischt sich in Johans Offenheit erstmals leichte Eifersucht. Aber er wiegelt ab: Es sei ok, wenn William was mit anderen habe, er wolle davon dann nur wissen. William jedoch geht es weniger darum, mit anderen zu schlafen, als darum, in seinem Körper anzukommen. Dabei legt ihm das Gesundheitssystem Steine in den Weg: Er kommt auf eine Warteliste und wird psychiatrisch begutachtet. Dass sein Geschlecht pathologisiert wird, dass ihm das Amt die Entscheidung nicht zugestehen, sondern abnehmen will, macht ihn (nachvollziehbar) wütend. Johan lässt sich von dieser Wut mitreißen: zuerst etwas hilflos, doch als sein Freund Benjamin ihm die Befreiungskämpfe der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA näherbringt, radikalisiert Johan sich immer mehr. Er sieht sich als Ally von trans Personen und schimpft auf die Schwulen, die ihr revolutionäres Potential verprasst hätten, indem sie durch Zugeständnisse wie die Ehe für alle im Mainstream versackt seien. Trans Personen hingegen könnten seiner Ansicht nach als revolutionäre Subjekte die herrschende Ordnung zum Kippen bringen. Johan will dabei helfen: Er greift zu Gewalt, fängt an zu stehlen, erst noch für William, dann als Selbstzweck.
Nur will William das gar nicht. Seine Sorgen sind pragmatischer: Wie komme ich an Hormone? Wie kann ich eine OP finanzieren? Wie kann ich mich in der Welt als Mann bewegen? Diese Fragen stellt er sich selbst – und sie werden ihm in einer Gruppe weiterer trans Jungs gespiegelt. Dort kommt Johan, der sich immer weiter in gedanklichen politischen Höhenflügen verliert, aber nicht mit hin. Weil er cis ist? Weil er William etwas aufstülpt, was nicht zu ihm passt. Weil er, wenn er ein Ally sein wollte, zuhören müsste statt zu agitieren.
Wir sehen zwei Jungs, die sich ineinander verlieben, raufend und tollend, zusammen Scheiße bauen und übereinander herfallen, aber immer wieder auf Systeme außerhalb ihrer Beziehung stoßen, die sie einengen – von dem Hausverbot, das William gleich zu Beginn in der Sauna erteilt wird, weil er ein Mädchen sei, bis hin zu grundverschiedenen persönlichen Zielen: Während Johan Revolution will, will William einfach ankommen. Ihre junge Liebe wird von einer Gesellschaft bedrängt, in der die beiden keinen Platz finden. Gleichzeitig will der Text queere Geschichte vermitteln. An diesem Punkt stockt der Fluss der Dialoge etwas und manche Gespräche wirken didaktisch. Dennoch zeigt eine Szene in der Sauna klar auf, wie und wo sich die Trennlinien in den Debatten der homosexuellen Emanzipationsbewegung ziehen lassen: Anpassung an eine heteronormative Gesellschaftsordnung, der Ausschluss von trans Personen aus der Befreiungsbewegung, oder aber eine übergreifende queere Solidarität, die alle Kämpfe miteinander verwebt. Johan will letzteres. Er hat vielleicht noch nicht verstanden, wie die Welt tickt, und muss noch viel über sich selbst lernen, aber sein Mut, seine Neugierde und auch sein Übermut machen ihn zu einer nachvollziehbaren und sympathischen Hauptfigur. Wir leiden und fiebern mit ihm, wir werfen mit ihm Fenster ein und wir lassen uns mit ihm das Herz brechen.
„Sauna“ beschreibt etwas, was uns in der Realität leider noch nicht gelingen will: Selbstverständlichkeit, Zärtlichkeit und Raum für Menschen, die Männer lieben und sich in Männer verlieben, die sich als Mann in einen anderen Mann verlieben. Mads Ananda Lodahl liefert einen Coming-of-Age-Roman, der sich ein klassisches schwules Setting als Hauptkulisse (und Buchtitel) vornimmt, aber daraus eine Geschichte spinnt, die uns zeigt, welche Geschichten noch viel zu selten erzählt wurden. „Sauna“ ist ein zärtlicher Roman über eine junge Liebe, die ,ohne es sein zu wollen, radikal ist.
Sauna
Von Mads Ananda Lodahl
Aus dem Dänischen von Andreas Donat.
248 Seiten, 25 Euro
Albino Verlag