Duke of Burgundy

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Jetzt im Salzgeber Club: Der Duke of Burgundy ist nicht etwa die einzige männliche Figur im weltweit gefeierten Spielfilm von Peter Strickland, sondern der Name eines Schmetterlings, hamearis lucina, deutsch „Schlüsselblumen-Würfelfalter“. Er ist aber ein eher nebensächliches Objekt des Interesses zweier zusammen lebender Insektenforscherinnen, deren rigider, durchperfomter Alltag ansonsten von abgründigen Leidenschaften geprägt ist. Ganz grundsätzlich ist in diesem Film nichts so, wie es auf den dritten Blick erscheint, schreibt Alexandra Seitz.

Foto: Salzgeber

Wolf im Schafspelz

von Alexandra Seitz

Ach so verführerisch beginnt es. Eine junge Frau, ein plätscherndes Bächlein, ein sonnendurchfluteter Laubwald. Eine Fahrradfahrt übers idyllische Land; Wiesen, Felder, ein heimeliges Städtchen mit stattlichen alten Häusern, friedliche, heile Welt. Immer wieder friert das Bild ein, färbt sich mal blau, mal grün, mal rot, mal gelb, zeigt Credits, gibt erneut Bewegung frei. Die Fahrradfahrerin ist inzwischen vor einem herrschaftlichen Anwesen angekommen. Sie steigt ab, sie ordnet ihre Kleider, sie klopft an die Tür. Erwartungsvolle Stille breitet sich aus. Mit ihren kolorierten Freeze-Frames zitiert die Titelsequenz von Peter Stricklands „Duke of Burgundy“ das Kino der Siebziger Jahre, insbesondere das italienische und insbesondere ein Softcore-Exploitation-Subgenre, das sich mit Lack, Leder, Sado-Maso (so hieß das damals noch) und Lesbianismus halb schaudernd, halb fasziniert beschäftigte. Seinen körperlich konkreten Ausdruck fand das genussvoll ausgemalte, perverse Treiben seinerzeit in der lesbischen Vampirin. Denn der Schwester Graf Draculas war gestattet, was für einen männlichen Vampir nicht vorstellbar war: Sie konnte in Reizwäsche herumlaufen und solcherart das nicht nur dezent erotische, sondern offen sexuelle Potenzial des Bisses in den Hals mit anschließender Überwältigung, Ekstase und Erschöpfung augenscheinlich machen.

Cynthia und Evelyn, die Protagonistinnen von „Duke of Burgundy“, sind allerdings keine Vampirinnen. Sie sind Entomologinnen mit Forschungsschwerpunkt Lepidopterologie, d.h. sie beschäftigen sich mit Insekten, bevorzugt Faltern. Mit nachtaktiven Flatterwesen bekommt man es also auch hier zu tun. Aber die Transformationsphasen, die ein Schmetterling im Laufe seines Lebens durchläuft, dienen Strickland eher als metaphorischer Ausdruck für a) die Schichten seines Films und b) die Ebenen der Beziehung zwischen Cynthia und Evelyn. Doch der Reihe nach. Nachdem Cynthia Evelyn die Tür geöffnet und sie herein gebeten hat, läuft zwischen den beiden ein geradezu klassisches Rollenspiel ab: Evelyn putzt und wäscht, während Cynthia kommandiert und mäkelt. Für ihre (imaginären) Verfehlungen wird Evelyn schließlich von Cynthia bestraft, was auf beiden Seiten zur (sexuellen) Entspannung führt. Soweit, so simpel. Cynthia dominiert die unterwürfige Evelyn, Sadistin trifft Masochistin, alles ist gut.

 

Es dauert allerdings nicht lange, bis Strickland die ersten Stolpersteine legt, die Zuschauerin sich aus der Exploitation-Rezeptionshaltung, in der sie es sich bereits bequem gemacht hatte, unsanft heraus gerissen und gedanklich herausgefordert sieht. Da ist ein Brieflein mit einer Handlungsanweisung – „lass mich mindestens 30 Sekunden, jedoch nicht länger als 5 Minuten vor der Tür warten“ –; da ist Cynthia, die wie unter Zwang große Gläser Wasser in sich hinein schüttet; da ist Evelyn, die aufhört, Stiefel zu putzen, und ungeduldig nach der Terrassentür und dem Auftritt ihrer Herrin schielt, ja, schließlich sogar klopft; da ist das Unbehagen in Cynthias Blick und die Erleichterung, mit der sie sich am Abend ihrer Perücke entledigt. Was zunächst nach Handel aussieht, nach (möglicherweise gekaufter) Dienstleistung, nach sexueller Ausbeutung und Lust an der Grausamkeit – also nach all den billigen Vergnügungen, die Strickland mit seiner stilistischen Bezugnahme auf das Exploitationkino der Siebziger Jahre heraufbeschwört – all dies wird in dem Moment zu einem komplizierten und komplexen Mechanismus, der auf einer ernsthaften und ernst genommenen Liebesbeziehung zwischen den beiden Frauen aufbaut.

Foto: Salzgeber

Es ist dies ein dramaturgisches Verfahren, das Strickland auch in seinen beiden vorangegangenen Filmen – dem 2009 im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführten Erstling „Katalin Varga“ und dem 2012 auf zahlreichen Festivals reüssierenden „Berberian Sound Studio“ – angewendet hat. Im einen Fall bedient er sich der Elemente des Rachethrillers, im anderen jener des Giallo, um im kunstvollen Spiel mit den vertrauten Genres und deren sattsam bekannten Regeln etwas durchaus Neues und nicht minder Unterhaltsames zu erarbeiten. Dabei beschränkt er sich nicht einfach auf die schwelgerische Re-Kreation eines überzeugenden Retro-Looks (die ja beispielsweise das analoge Tonstudio in „Berberian Sound Studio“ zu einem Schauwert an sich macht), und auch die ihr Camp-Potenzial abfeiernde, immer ein wenig überhebliche Haltung gegenüber den Unzulänglichkeiten des gewählten Gegenstandes ist seine Sache nicht. Respektvoll im Umgang mit den je spezifischen stilistischen Ausdrucksformen und visuellen Erzählstrategien geht Strickland dem Genre auf den Grund, er fühlt ihm auf den Zahn, er vertieft und psychologisiert, er erweitert behutsam die Möglichkeiten, indem er ungeahnte Perspektiven eröffnet – und schließlich sprengt er kurzerhand die Grenzen.

Ebenso wie der arme Toningenieur Gilderoy in „Berberian Sound Studio“ die Orientierung verliert, irrt bald auch die Zuschauerin von „Duke of Burgundy“ durch ein Spiegelkabinett der Projektionen und Begierden. Wie sich nämlich herausstellt, ist Cynthia nicht wirklich dominant veranlagt, und die Unterwerfungsspiele mit Evelyn sind eigentlich überhaupt nicht ihr Ding, sondern nur deren Wunsch. Und Cynthia spielt eher notgedrungen mit, weil sie Evelyn liebt und weil sie Angst hat, diese könnte sie sonst enttäuscht verlassen. Wer hat in dieser Beziehung nun also die stärkere Position inne? Und wie gehen die beiden Frauen mit ihren unterschiedlichen Interessenslagen und dem damit zusammenhängend immer deutlicher zutage tretenden Machtgefälle um? Was Strickland hier wie nebenbei gelingt, ist das Kunststück, einen gegenwärtigen BDSM-Diskurs in einen altmodisch anmutenden Film einzuschleusen und dabei beides intakt zu lassen: die Tragweite des Konflikts und die Frivolität der Form. Dabei kommt den Schauspielerinnen die zentrale Funktion der Erdung zu. War es also in „Berberian Sound Studio“ Toby Jones, der in der Rolle des Toningenieurs mit seinem herzerweichenden Spiel den Film emotional verankerte, so ist es hier Sidse Babett Knudsen (den meisten wohl als Premierministerin Birgitte Nyborg aus der dänischen Fernsehserie „Borgen“ bekannt), die „Duke of Burgundy“ im Menschlichen verwurzelt.

Foto: Salzgeber

„Ich brauche eine Gebrauchsanweisung für die Hälfte der Klamotten, die Du mir kaufst“, beschwert sie sich einmal bei Evelyn. Zunehmend überfordert kämpft sie sich tapfer in das Schnürmieder, sie stöckelt trotz Rückenschmerzen durch die Zimmer, sie hält sich beim Ausziehen an die Fußboden-Markierungen, damit Evelyns Blick durchs Schlüsselloch befriedigend ausfällt. Doch sichtlich blümerant wird ihr, als die auf SM-Zubehör spezialisierte Zimmersfrau den Erwerb einer „human toilet“ vorschlägt und Evelyns Augen zu leuchten beginnen. Wie viel lieber würde Cynthia, statt mit High Heels und Strapsen auf dem Gesicht ihrer Liebsten zu sitzen, im schlabbrigen Schlafanzug auf dem Sofa mit ihr schmusen. Was tut man nicht alles für die Liebe! Das Dilemma entbehrt nicht einer gewissen Komik, billige Witze aber erlaubt sich Strickland nicht. Der Schalk versteckt sich ebenso im Detail, wie die Schaufensterpuppen im Hörsaal, in dem Cynthia einen ihrer Vorträge hält. Er blitzt auf in den Credits, die neben der Kostümverantwortlichen auch die Zuständige für Unterwäsche nennen sowie das verwendete Parfum. Gelistet werden zudem alle auftretenden Insekten jeweils mit volkstümlichen und wissenschaftlichen Namen sowie die zu Gehör gebrachten Faltergeräusche inklusive technischer Details und äußerer Umstände der jeweiligen Tonaufzeichnung. Und während des gesamten Films huscht kein einziger Mann auch nur sekundenkurz durchs Bild.

Was das soll? Das kann Exzentrik sein. Es können aber auch die Koordinaten des Imaginären sein; sie bezeichnen einen filmischen Raum, der weder örtlich noch zeitlich genau festgelegt ist, der vielmehr aus Gerüchen und Geräuschen, Leidenschaften und Sehnsüchten zusammengesetzt ist. Darin wird erzählt von der innigen Zuneigung zweier Frauen, deren differierende Begehren ein gemeinsames Glück erschweren, ja, möglicherweise sogar unmöglich machen. Es ist eine Geschichte voller Mitgefühl, gesättigt mit Melancholie, aufrichtig und genau – und in ihrem ungewöhnlichen Genre-Gewand eine schöne und kostbare Schmuggelware.




Duke of Burgundy

von Peter Strickland
UK 2014, 106 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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