Velociraptor

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In seinem zweiten Langfilm „Velociraptor“ erzählt der junge mexikanische Regisseur Chucho E. Quintero von einer Welt, deren Ende kurz bevorsteht, und von den letzten Stunden im Leben des schwulen Alex und seines Hetero-Freundes Diego. Der Film ist wie der titelgebende Saurier: klein, schnell, beweglich und in der Lage, auch große Gegner anzugreifen, weil er im Rudel jagt. Eine Studie über Freundschaft, eine Meditation über queere Sexualität, Teenagerkomödie und Endzeitvision.

Foto: Pro-Fun Media

Dinosaurierromantik, Gleitgel und die Apokalypse

von Paul Schulz

Der Plot von „Velociraptor – Noch einmal lieben!“ ist schnell erzählt: Alex, schwul, und Diego, hetero, beide noch keine 20, laufen am Tag, an dem die Welt endet, durch eine nicht näher bezeichnete mexikanische Großstadt, gehen zu Alex nach Hause, versuchen dort Sex miteinander zu haben, den sie vorher ausführlich besprechen, trinken, essen, kiffen, erzählen sich von der Liebe, so wie sie sie verstehen, und trennen sich wieder. Dann ist alles vorbei.

Klingt merkwürdig? Ist es auch. Was „Velociraptor“ noch ist: zart, phantasievoll, schlau, nicht interessiert an Labeln wie „homo“ oder „hetero“ (aber immer an einem Blowjob von jemandem, der das wirklich kann), jung, fröhlich und ein bisschen breit. Hier wird im Angesicht des eigenen Untergangs nicht auf einem Vulkan getanzt, sondern im Wissen um den anrollenden Tsunami gedanklich noch ein relaxter, aber immer spannender Badetag abgefeiert. Das kann man zynisch finden, es entspricht aber wohl dem Lebensgefühl der Generation Z von Regisseur und Drehbuchautor Chucho E. Quintero. Der war 24, als der Film 2014 entstand. „Wir sind ein bisschen so“, fasst der Jungfilmer in Interviews zusammen. Wir, das sind die „ungefähr sechs Leute“, aus denen Quinteros feste Crew besteht und die er fast alle kennt, seit er selbst ein Teenager war. Denn er hat Film von der Pieke auf gelernt.

Bevor er mit „Velociraptor“ seinen zweiten Langfilm machte, arbeitete Quintero für einige mexikanische Filmfestivals als Dolmetscher und Übersetzer, untertitelte Filme und hatte am Set so ziemlich jeden Job, bei dem man Drecksarbeit verrichten muss. Er besuchte einige Monate die Filmhochschule und beschloss dann, dass er Filmemachen doch lieber lernen wollte, während er es tat. Als er 2011, mit 21, seinen ersten Spielfilm „Six Pack“ vorstellte, der von vier Freunden handelt, die es im Sommer nach ihrem Schulabschluss noch einmal richtig krachen lassen wollen, sich aber in den stillen Momenten zwischen Partys alles Mögliche gestehen, bekam er  dafür prompt seinen ersten Regiepreis. Und auch „Velociraptor“ wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit den Jury-Preis des renommierten Miami Gay & Lesbian Film Festivals.

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Was, hat man den Film einmal gesehen, überhaupt nicht überrascht. Quinteros Filme haben Microbudgets und kommen ohne jedweden Schnickschnack oder doppelten Boden aus. Aber, und daran ähneln sie dem titelgebenden Saurier, der vor 80 Millionen Jahren die Kreidezeit unsicher machte: sie sind klein, unglaublich schnell, sehr beweglich und in der Lage, auch sehr große Gegner anzugreifen, weil sie im Rudel jagen. „Velociraptor“, der Film, ist wie ein ganzes Rudel von Filmen: eine Studie über Freundschaft, eine Meditation über queere Sexualität, Teenagerkomödie, Endzeitvision. Das den Machern die verschiedenen Aspekte des Films nicht um die Ohren fliegen, sondern sich zu einem mehr als schlüssigen Ganzen zusammenfinden, liegt an ihrer Grundannahme, dass die Liebe zwischen Diego und Alex für ihre Erzählung wichtiger ist als alles andere und dass man die Apokalypse auch in Andeutungen und auf den Gesichtern seiner Protagonisten zeigen kann, ohne das es dabei weniger erschütternd würde. Beides stimmt und ist in seiner stillen, aber überaus effektiven Konsequenz das Gegenteil von dem, was Roland Emmerich, ein anderer schwuler Regisseur, so macht. Und das ist auch schön so.

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„Velociraptor“ fühlt sich so an, als hätte Richard Linklater („Boyhood“, 2014), seine „Before“-Trilogie (1995-2013) um einen Film darüber erweitern wollen, was der schwule Sohn der mexikanischen Nanny von Jesse und Celine so treibt, bevor die Welt untergeht. Auch hier wird hauptsächlich geredet, gegessen und sich angefasst, nur sind die beiden Jungs in „Velociraptor“ nicht halb so gebildet wie die von Ethan Hawke und Julie Delphy improvisierten Mitvierziger. Deswegen ersetzt ein amüsiertes Grunzen und schiefer Seitenblick in „Velociraptor“ oft ganze Dialogseiten und Quintero ist in der Lage, über eine einzige Szene, in der Alex ungeschickt und wortlos mit einer Analdusche hantiert und dabei von Diego erwischt wird, alles zu erzählen, was man als Zuschauer über die Verunsicherungen junger, queerer Sexualität wissen muss.

Und die sind massiv. Denn Álex nimmt Diego mit zu sich und will, dass der ihn fickt, „weil ich das mit jemandem machen will, dem ich vertraue und mit dem ich weiter gehen kann“. Und weil die Zeit drängt – die Apokalypse interessiert sich schließlich nicht wirklich für sexuelle Behutsamkeiten.

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Die Protagonisten und ihre Darsteller dafür umso mehr. Carlos Hendrick Huber als Diego und Pablo Mezz als Álex sind die großen Glücksgriffe des Films. Sie spielen intim, frei und genau. Es liegt vor allem an ihnen, dass man als Zuschauer sehr gut versteht, warum ein Heterosexueller hier seinem besten schwulen Freund seinen letzten, größten Wunsch erfüllen will und warum der schwule Teenager Alex den Hetero Diego braucht, um sich endlich genug entspannen zu können. Der Sex und dessen „Erfolg“ selbst spielen dabei eine höchstens untergeordnete Rolle. Denn, um Oscar Wilde zu adaptieren: Es geht immer und überall um Sex. Außer beim Sex. Da geht es um Gleitgel, Vertrauen und Dinosauriercomics.

Dass Quinteros Jungs zwischen „Ich hab noch nicht ja gesagt“, „Bist Du dann soweit?“, „Irgendwer muss ja mal anfangen“, „Das geht so nicht“, „Doch, das geht auch, wenn wir uns angucken“ und „Musst Du los?“ in fünf Filmminuten ein ganzes Leben voller Zuneigung und Missverständnisse packen können, macht „Velociraptor“ zu einer wunderbaren Liebesgeschichte. Dass der Regisseur und sein gesamtes Team sich beim Machen offensichtlich überhaupt nicht die Frage gestellt haben, ob das alles so geht oder ob sie ihr Publikum ein bisschen überfordern (was sie nicht tun), macht ihn zu einem großen kleinen Film. Den man angucken sollte, egal ob die Welt untergeht oder nicht.




Velociraptor
von Chucho E. Quintero
MX 2014, 95 Minuten, FSK 12,
span. OF mit dt. Untertiteln,
Pro-Fun Media
 

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