Sleepless Knights

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In der surrealen Landschaft der spanischen Extremadura erzählen Cristina Diz und Stefan Butzmühlen in ihrem Debütfilm „Sleepless Knights“ vom Aufeinandertreffen und Aneinander-Vorbeileben einer alten, starren, verpanzerten Dorfbevölkerung und eines jungen schwulen Paares, das die Jugendarbeitslosigkeit aus den Metropolen aufs Land getrieben hat. Nikolaus Pernetzky hat unterhalb der großen Scheinwerfer der Massenkultur in diesem Film die Beständigkeit kleiner Lichtquellen entdeckt. Und die Filmemacherin Angela Schanelec schwärmt über einen Film, in dem vom ersten Bild an alles möglich ist.

Foto: Edition Salzgeber

Glühwürmchendämmerung

von Nikolaus Perneczky

Die Rückenansicht eines nackten Mannes, vor ihm ein Pferd, das er streichelt. Es ist eine so finstere Nacht, dass wir, wenn er sich endlich umdreht, sein Gesicht kaum erkennen können – und ob er geradewegs in die Kamera blickt oder knapp an ihr vorbei. Wen sieht er an? Und mit wessen Augen schauen wir zurück? Das Rätsel, das die erste Einstellung von Sleepless Knights, dem Langfilmdebüt von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz, aufgibt, wird auch später nicht regelrecht gelüftet. Einige Male noch sollen sich solche subjektlosen Subjektiven einschalten, gleich einem katzenlosen Lächeln – wenn nicht irgendwann klar würde, dass es nichts zu Belächeln gibt an dieser gespenstischen Präsenz, deren Weltverhältnis eher ein Spähen, Flüchten, Sich-Ängstigen ist als ein neutraler Blick.

Juan, ein junger Polizist aus Madrid, ist in eine kleine Ortschaft in der südwestspanischen Extremadura versetzt worden, wo er vornehmlich damit befasst ist, illegalen Einwanderern nachzuspüren. In einer Bar wird er Carlos kennen lernen, der bis vor kurzem ebenfalls noch in Madrid gelebt hat, aufgrund der im Hintergrund schwelenden Eurokrise aber seinen Unterhalt nicht mehr aufbringen kann und darum vorübergehend – tatsächlich: auf unbestimmte Zeit – in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist. Ihr Flirt schlägt rasch um in handfeste Liebeshändel, mit elliptischer Plötzlichkeit fast ganz ohne Anbahnung, so unvorbereitet und ungeschützt wie auch der Rest von Sleepless Knights sich Bahn brechen wird. Eine einschlägige Szene: Unmittelbar nachdem sie einander zum ersten Mal begegnet sind, sitzen Juan und Carlos am Ufer eines Flusses, der so breit ist, dass er als zweiter Himmel durchgeht. Juan erhebt sich, pinkelt in den vorbeilaufenden Strom und eh er sich’s versieht ist Carlos nackt und springt, schwups, in die urinangereicherten Fluten: „Kommst du nicht rein?“ Außer dem Wasser ist jetzt alles klar.

Es gibt einige Szenen, worin Sleepless Knights auf die für Spanien verheerenden Folgen der Eurokrise Bezug nimmt, meist jedoch indirekt, über die Bande beiläufig hingeworfener Gesten und Äußerungen gespielt. Noch dort, wo die politische Gegenwart ins Bildzentrum rückt, bleibt sie ein fernes Echo, etwa in einer frontalen Aufnahme des Fernsehapparats auf der elterlichen Wohnzimmeranrichte, von dem Bilder der Madrider Massenproteste und die Selbstdarstellung einer „Indignada“ flimmern. Vor dieser Guckkastenanordnung sitzen Carlos und sein dementer Vater, in einem der zahlreichen Momente ungerichteter Latenz, die Sleepless Knights immer wieder in einen leichten Dämmerzustand entrücken. Der nur noch zur Hälfte in dieser Welt verankerte Vater, sein Oberkörper aus unerfindlichen Gründen mit einer Plattenrüstung bewehrt, ist im nächsten Augenblick sanft entschlummert.

Eingeleitet durch ein Close-Up, das uns ans selbstverlorene Gesicht des Schlafenden heranführt, lässt Sleepless Knights seine Primärwirklichkeit hinter sich, und begibt sich in das halb mythische, halb prosaische Reich sagenumwobener Ritter, die es mit einer von Mauren besetzten Festung aufnehmen wollen. Äußerlich hat diese Parallelwelt indes weniger mit mythischer Überhöhung als mit einer bestimmten Tendenz des zeitgenössischen Weltkinos zu tun – so jedenfalls der erste Eindruck: Die Ritter sind eine Gruppe alter Männer, unvollständig angetan mit mittelalterlichen Rüstungen – ein lose übergeworfener Brustpanzer hier, ein schief sitzender Helm da –, die ihnen, auch weil die Alltagsbekleidung noch darunter hervorragt, so theatral-äußerlich bleiben wie die Kostüme eines Straubfilms.

Foto: Edition Salzgeber

Bei ihrem ersten Auftritt geben sich die phantasmatischen Ritter wortkarg und undurchdringlich. Eine von vielen langen Einstellungen sieht ihnen geduldig dabei zu, wie sie, einer nach dem anderen, einen schmalen Bergpfad entlang wandeln. Auf der Tonspur: das trippelnd-hypnotische Läuten von Schafsglocken. Später machen sie vor der Kulisse des inzwischen vertrauten, breit aufgetragenen Flusses halt. Warum sollte man sich da nicht auch noch die Zeit nehmen, der Zubereitung eines gefangenen Fisches beizuwohnen? Just als man meint, sich in einem Film von Lisandro Alonso wiederzufinden, bekommt der gravitätische Ernst der Sache jedoch erste Risse. Die Ritter singen, um ein Lagerfeuer versammelt, frivole Lieder, necken und beschuldigen einander, ihren Auftrag nicht mit dem nötigen Ernst zu verfolgen, was die allmählich ins Burleske kippende Situation immer besser beschreibt: Die Ritter als Narren. Obschon hier bestimmte Klischees des Festivalkinos – etwa die Verschränkung von filmischer Referenz und theologischer Reverenz – aufgerufen und listig umgebogen werden, geht die Aneignung nicht so weit, als dass der Film im Einzelnen nicht doch (auch) in der angezeigten Weise funktionieren wollte und würde. Weniger Kritik als Umarbeitung, setzt Sleepless Knights auf unentwegte Verunreinigungen seines an sich strengen ästhetischen Konzepts.

Auch die Zwei-Reiche-Lehre, nach deren Maßgabe der Film in zwei ungleichartige und nur bedingt zu vermittelnde Teile zerfällt, ist dem Fundus des festivalnahen Weltkinos entlehnt – man denke an Apichatpong Weerasethakuls Tropical Malady oder, um neben dem wahrscheinlichen Anfangspunkt noch einen rezenten Vertreter dieses Prinzips anzuführen, Nadav Lapids Policeman. Nicht aus drei, vier oder fünf Teilen soll ein Film demnach bestehen, sondern lediglich aus zweien – ein nur scheinbar schlichter Binarismus, den man durchaus als Absage an die vielgliedrigen Netzwerkerzählungen auffassen darf, die sich noch bis vor kurzem einzig imstande wähnten, unsere Gegenwart adäquat abzubilden. Die Reduktion führt nämlich nicht zu einer Vereinfachung oder Verflachung der Filme, die übrigens gar nicht mehr daran interessiert sind, eine globalisierte Wirklichkeit abbildlich einzuholen, sondern zu einer Ästhetik der Differenz, die auf das Uneinholbare zwischen den Bildern zielt. Sleepless Knights knüpft auch an diese Vorlage nicht in Reinform an, sondern wiederum im Modus einer irgendwie jovialen Unreinheit – Juan und Carlos, die in den Fluss der Bilder pinkeln, um dann darin zu baden.

Foto: Edition Salzgeber

Die beiden Welten, die eine mythisch, aber in ihrer Anmutung prosaisch, die andere im Grunde realistisch, aber von zum Teil überwältigenden Naturlyrismen durchzogen, stehen in Sleepless Knights nicht wie zwei unbehauene Blöcke nebeneinander, vielmehr sind sie ineinander (auch motivisch) verwoben. Wenn sich doch so etwas wie eine Schnittmenge, ein Gemeinsames der beiden Erzählhälften herauskristallisiert, dann in dem Versuch, die verlorene Festung wieder einzunehmen. Die Strategie der Ritter ist in gewisser Weise eine direkte Umkehrung des Don Quixote, der mit echten Waffen gegen imaginäre Feinde antrat. Hier wird im Gegenteil versucht, nur mit Imagination bewaffnet gegen einen echten Feind zu gewinnen: Indem sie winzige, batteriebetriebene Lämpchen an einer Herde Schafe befestigen, so die (auf den Stand der Technik gebrachte) Sage, erwecken die zahlenmäßig unterlegenen Ritter den Anschein einer herannahenden Armee, worauf der Feind sich in alle Windesrichtungen zerstreut. Nur die Alten und Kinder bleiben zurück.

Die illuminierten Schafe, die von den burlesken Rittern in einer langen, unbewegten Einstellung, derweil es Abend wird, die Anhöhe zur Maurenfeste hinaufgetrieben werden, nähern sich mit jedem Schritt, den sie sich von uns entfernen, mehr einer Glühwürmchenkolonie an, bis nur noch ein leuchtschwaches Schillern auszumachen ist. Ankommen tun sie, zumindest was den Film betrifft, nie. Den Glühwürmchen, oder vielmehr ihrem Verschwinden, hat Pier Paolo Pasolini in den 1970er Jahren einen Aufsatz gewidmet, worin ihr kaum wahrnehmbares, hundertfaches Leuchten zur Metapher für den gesellschaftlichen Anteil der Anteillosen wurde, der – auch das ist in dem Bild mitgemeint – nur in dem Maß politisch wirksam sein kann, wie er es als ästhetischer ist. Und genau diese marginale Leuchtkraft sah Pasolini bedroht, durch den Aufstieg der Massenkultur, gegen deren alles ausleuchtenden „Scheinwerfer“ (G. Didi-Huberman) die Glühwürmchen nichts mehr auszurichten vermögen.

Der Kampf der Glühwürmchen gegen die Befestigungsanlage wird in Sleepless Knights zur bezugreichen Allegorie eines neuen, hinter Grenzzäunen und Sachzwängen verschanzten Europa. Erst wenn man das verstanden hat, werden die eingangs erwähnten subjektlosen Subjektiven zuordenbar, welche die Liebesgeschichte der beiden jungen Männer diesseits des Mythos in unregelmäßigen Abständen durchkreuzen: Der fliehende, angstvolle Blick könnte einem jener Flüchtlinge gehören, die dingfest zu machen Juans Beruf ist. Gegen Ende des Films gibt es eine – in jeder Hinsicht unterdeterminierte – Ansicht, die auch deshalb so rätselhaft ist, weil sie ziemlich genau zwischen die Extreme der Pasolinischen Metaphorik fällt: Eine völlig leere Diskothek, erhellt von wild herumwirbelnden Lichtpunkten. Obwohl den vorprogrammierten Routinen der Lichtmaschine jedes erratische Moment abgeht, ist in dem Flackernden, Unsteten des immer nur teilweise erleuchteten Raums ein Rest von der Utopie der Glühwürmchen noch enthalten – und sei es als deren maschinelle Objektivierung.

Es ist kein Zufall, dass das vorletzte Bild von Sleepless Knights dem Licht eines Autoscheinwerfers folgt, der über eine staubige Landstraße gleitet, auf der Suche nach Carlos’ dementem Vater, der ausgebüxt ist oder vielleicht sogar in die Parallelwelt der Ritter sich verflüchtigt hat. Und es ist kein Wunder, dass im Schein jenes grellen Lichts jede Spur von ihm fehlt.


Foto: Edition Salzgeber

Alles ist wahr

von Angela Schanelec

„Sleepless Knights“ beginnt mit einer Einstellung bei Nacht, in der Dunkelheit erkennt man ein Pferd und davor den nackten Körper eines Mannes. Das Bild ist von merkwürdiger Reinheit und Einfachheit. Ich dachte, dass jetzt alles möglich ist, aber nichts passieren wird, was sich nicht aus sich heraus ergibt.

Butzmühlen und Diz inszenieren ihre Darsteller wie Menschen, die schon längst existieren, nur wussten wir nichts von ihnen. Der Raum und die Zeit, die sie ihnen geben, ist bemessen von einem freien und völlig unvoreingenommenen Blick. Was für die Figuren gilt, gilt auch für die Landschaften und Orte, alles findet seinen Ausdruck und damit seine Bestimmung. Dadurch hat man das Gefühl: Alles ist wahr.

Erlöst vom Bedürfnis nach Erklärungen sieht und hört man zu. Es sind die ungeheuerlichsten Dinge, die man erfährt. Mit Selbstverständlichkeit folgt man dem Geschehen, nicht, weil sich die Ungeheuerlichkeit im Fiktiven verwischt, sondern weil sie eben nicht mehr zu leugnen ist. Man sieht zu und glaubt daran, dass sich Liebe wirklich ereignet, wie in der Begegnung zwischen Carlos und Juan, dass alte Männer sich über Hemd und Hose Rüstungen ziehen, in denen sie eins werden mit der Welt, und dass, wer verloren geht, gesucht und irgendwie auch gefunden werden wird.



Sleepless Knights
von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz
DE 2012, 81 Minuten, FSK 6,
spanische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber
www.sleeplessknights-film.de


Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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