Schau mich nicht so an

Trailer

In ihrem kompromisslosen Spielfilmdebüt lässt die mongolisch-deutsche Regisseurin und Schauspielerin Uisenma Borchu keine Figur das Erwartbare tun oder sagen. Ganz grundsätzlich geht es ihr um das Selbstbstimmungsrecht des erotischen Blicks und Erzählens, welches sich nicht in moralischen Konventionen einpassen mag. Borchus Freiheitserzählung ist darüberhinaus um die Affäre zweier Nachbarinnen gebaut, denen „Lesbischsein“ als Label viel zu eng wäre. Neue queere Perspektiven in einem Abschlussfilm an einer deutschen Filmhochschule; Fernsehsender hatten sich aus dem Projekt zurückgezogen.

Foto: Zorro Film

Sei nicht so weich!

von Barbara Schweizerhof

Gegenseitige Sympathie als Voraussetzung für Anziehung wird völlig überschätzt. Die Szene, in der Iva (Catrina Stemmer) zum ersten Mal auf Hedi (Uisenma Borchu) trifft, macht das ganz wunderbar sichtbar: Iva klingelte an Hedis Tür, weil deren Bekanntschaft mit ihrer kleinen Tochter Sofia sie misstrauisch gemacht hat. „In dem Alter laufen die Kontakte über die Eltern“, erklärt Iva etwas zurechtweisend der verblüfften Nachbarin, „wen Sofia kennt, den kenn ich auch“. „Ok“, sagt Hedi nur trocken, während sie Iva in die Wohnung lässt. Dort umkreisen sich die beiden Frauen dann wie in einem rituellen Tanz. Iva inspiziert die Zimmerecken, Hedi hält sich bedeckt. Sie sprechen über die kleine Sofia und verhandeln doch eigentlich schon ihr Verhältnis zueinander. Was als fast feindselige Konfrontation begann, verwandelt sich in einen Flirt, der beiden schließlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Aber es wird klar, wieviel widersprüchliche Impulse zu diesem Interesse aneinander führen. Ein bisschen Faszination am Gegensätzlichen, ein bisschen Lust am Risiko dem Unbekannten gegenüber und jede Menge Konkurrenzverhalten schwingen mit.

Der Film der 1984 in Ulan Bator geborenen deutsch-mongolischen Regisseurin Uisenma Borchu ist voll von solchen Szenen, in denen Ambivalenz regiert. Es ist auch eine zwiespältige, vieldeutige Geschichte, die Borchu in ihrem Spielfilmdebüt erzählt. In den Anfangsszenen des Films sah man Sofia und Hedi zusammen als Mutter-Tochter-Paar: Zuerst noch beim Erwachen in einer privaten Wohnung, dann beim Überqueren der unwirtlich breiten und leeren Straßen einer fremden mongolischen Stadt, schließlich beim Besuch der Großmutter von Hedi in einem abgelegenen, ärmlichen Bergdorf. Dann, nach gerade einmal fünf Minuten, beginnt der Film wie von neuem. Wieder mit einer Aufwachszene, nur dass es diesmal die kleine Sofia ist, die noch im Bett liegt, während ihre Mutter Iva die Vorhänge aufzieht und zum Aufstehen auffordert. Anziehen, Frühstücken, Aufbrechen, die alleinerziehende Iva kämpft sichtlich mit dem Alltag und dem Widerstand, den Sofia ihr dabei bei Schritt und Tritt entgegensetzt. Kaum dass sie aus dem Haus sind und Iva ihr Fahrrad aufschließt, macht Sofia sich davon – und versteckt sich bei der neuen Nachbarin Hedi. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Hedi gibt sich ganz als Komplizin, und Sofia ist sichtlich fasziniert von der eigenwilligen Frau, die so ganz anders ist als die eigene Mutter. Bei ihrer nächsten Begegnung bietet Hedi der Kleinen gar eine Zigarette an. Zuerst lehnt sie lachend ab, aber dann ahmt sie mit einem Grashalm im Mund die Rauchgesten von Hedi nach. Die Lust an der Grenzüberschreitung, die wenig später bei Iva aufblitzt, man sieht sie hier auch der Fünfjährigen schon an.

Foto: Zorro Film

Obwohl von vorne herein Hedi als die starke, schwer zu durchschauende Persönlichkeit gegenüber der schwachen, leicht zu manipulierenden Iva etabliert wird, bleiben die Machtverhältnisse zwischen den Frauen schwankend und offen. Sicher, Hedi gibt Anweisungen („Alkohol tut dir gut!“, „Sei nicht so weich!“) und scheint ihr Leben im Griff zu haben, während Iva Termine durcheinander bringt und Konflikten mit Tränenausbrüchen und Selbstmitleid ausweicht. Schließlich bringt Josef Bierbichler als Ivas Vater noch ein Gegengewicht in das Frauenverhältnis: Er vermeidet die Begegnung mit der Tochter, aber Hedi, die ihn dafür eigentlich zur Rechenschaft ziehen will, verfällt seinem zögerlich-pessimistischen Charme, während sie selbst noch versucht, als offensiv Verführende die Oberhand zu behalten. Wie es zur Reise in die Mongolei kommt, wo Hedi Sofia schließlich als ihre Tochter ausgibt, wer hier am Ende wen manipuliert und wessen Leben usurpiert, das alles lässt Borchu auf absichtsvolle Weise im Unklaren.

Mit einem Minimalbudget meist in Privatwohnungen gedreht, ist „Schau mich nicht so an“ ein kleines Kunstwerk der kunstvoll und präzis eingesetzten Kamera (Sven Zellner). Mal statisch, mal beweglich, mal nah dran und mal in ungewöhnlichen Aufsichten bringt sie die Vielschichtigkeit der Empfindungen auf den Punkt. Das gilt insbesondere für die freizügigen, aber die genaue Balance zwischen Diskretion und Deutlichkeit wahrenden Sexszenen, die hier genauso wenig wie der Rest der Erzählung den gängigen Klischees folgen, sondern tatsächlich verborgene Seiten der involvierten Charaktere offenbaren. Auch der Titel ist also höchst widersprüchlich. Bei „Schau mich nicht so an“ lohnt sich das eben das: das ganz genaue Hinschauen.

 



Schau mich nicht so an
von Uisenma Borchu
DE/MN 2015, 88 Minuten, FSK 16,
deutsche OF,

Zorro Film

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