Nobody’s Watching

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In ihrem dritten Spielfilm erzählt Regisseurin Julia Solomonoff („Mein Sommer mit Mario“, 2009) von einem jungen schwulen Argentinier, der nach New York zieht, um dort als Schauspieler Fuß zu fassen. Eine fein beobachtete Studie darüber, wie ein bereits angebrochenes Herz am alltäglichen Rassismus und den wenig romantischen Lebensbedingungen in New York noch weiter zerbrechen kann.

Foto: Pro-Fun Media

Vom Soap-Star zum Tellerwäscher

von Paul Schulz

„If I can make it there, I’ll make it anywhere“, singt Frank Sinatra über den Mythos New York. Aber was passiert eigentlich mit denen, die es dort nicht schaffen? Und woran liegt es, wenn sie das nicht tun? Diese Fragen stellt sich „Nobody’s Watching“, der dritte Spielfilm der argentinischen Filmemacherin Julia Solomonoff. Und findet darauf eine berührende Antwort in Form des Schicksals von Nico. Der ist Schauspieler und hat es eigentlich längst geschafft: In seinem Heimatland Argentinien ist er ein TV-Star, der durch zwei Staffeln in einer Telenovella so berühmt geworden ist, dass er in der Öffentlichkeit erkannt wird. Das passiert ihm auch in New York, wo er jetzt lebt. Oder besser gesagt, überlebt, wenn man bedenkt, dass ihn südamerikanische Kindermädchen auf seine Rolle in der Serie ansprechen, während er als Babysitter auf einer Parkbank ungelenk den Sohn seiner besten Freundin Andrea wickelt, um sich ein bisschen Geld dazu zu verdienen.

Dabei schien doch der große Erfolg in den USA vorprogrammiert: Ein aufstrebender mexikanischer Regisseur hatte ihn mit der Aussicht auf eine Hauptrolle in seinem nächsten Film, einem Flüchtlingsdrama, dazu gebracht, seinen Job in Argentinien hinzuschmeißen. Doch die Dreharbeiten des Films haben sich immer wieder verschoben, erst um einige Monate, dann ins Endlose. Nico ging in der Zwischenzeit das Geld aus und jetzt muss er illegal Jobs als Kellner und eben Babysitter annehmen, um sich über Wasser zu halten, während er auf den Vertrag für den Film und das damit verbundene Arbeitsvisum wartet. Seine Nächte verbringt er auf der Couch einer Freundin, die ihn zwar gern unterstützt, aber ungern dabei zusieht, wie Nico sich durch seinen Stolz immer weiter reinreitet.

Denn Nico spielt allen – und vielleicht sogar sich selbst – etwas vor. Bei den Chats mit seiner Mutter erzählt er von Dreharbeiten, die sich hinziehen würden, obwohl er in Wahrheit seit Monaten vor keiner Kamera mehr gestanden hat. Als sie ihn während der Arbeit in der Bar anruft, sagt er, die Hintergrundgeräusche gehörten zu einer Party, auf der gerade feiere. Und als ihn Pablo, ein Freund und Kollege aus der argentinischen Serie, besucht, empfängt er in einer Wohnung, die er in Wahrheit nur putzt, erzählt ihm von einem Vorsprechen, die es nie gab, und schwärmt davon, wie hilfreich die berühmte US-Produzentin Kara Reynolds in Bezug auf seine Karriere schon gewesen sei. Die will ihm auch wirklich helfen, allerdings auf eine knallhart realistische Art: „Es ist eine aufregende Zeit für Latinos. Du könntest leicht Arbeit finden. Aber du musst ins Fitnessstudio, dir deinen Akzent abtrainieren und dir die Haare dunkel färben, sonst kann man dich nicht besetzen.“ Sie meint es gut mit ihm. Aber sie will Nico auch seiner Identität berauben, damit er in das Antonio-Banderas/Salma-Hayek-Klischee passt, das US-Amerikaner im Kopf haben, wenn sie an Latinos denken.

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Die Szenen mit Kara sind nicht die einzigen, in dem die Regisseurin den Alltagsrassismus des New Yorker Kulturbetriebs thematisiert. Bei seinem ersten richtigen Vorsprechen wird Nico, blond wie er nun mal ist, aufgrund seines Aussehens aussortiert, ehe er auch nur ein Wort sagen konnte: „Ich will nicht deine Zeit oder die des Regisseurs verschwenden. Ich weiß, wonach wir suchen“, urteilt ein Assistent. „Willst Du dich nicht für die amerikanische Rolle anstellen?“

Eigentlich könnte Nico einpacken und nach Hause fahren, denn der Produzent der Erfolgsserie hat seine Filmfigur in ein Koma versetzt und hofft noch immer, dass Nico in die Serie zurückkehrt und damit von den Scheintoten aufersteht. Dass er das nicht tut, liegt nicht nur daran, dass Nico „lieber den Babysitter gibt, als weiter in Telenovellas mitzuspielen“. Besagter Produzent ist zudem sein Ex-Liebhaber, obwohl dieser mit einer Frau verheiratet ist, wie man über elegant in den Film gestreute Rückblenden erfährt.

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Eine der großen Stärken von Solomonoffs Film ist, dass er die Sexualität seiner Haupt- und Nebenfiguren einfach miterzählt, ohne sie in den Vordergrund zu drängen oder gar zum Angelpunkt der Handlung zu machen. Ja, Nicos Mitbewohnerin ist lesbisch, er selber schwul, sein Ex bi. Aber diese Vielfalt ist in „Nobody’s Watching“ eine Selbstverständlichkeit großstädtischen Lebens. Und kein Anlass für Voyeurismus, sondern ein Mosaikstein in den Identitätskonstruktionen des Films.

Dabei stellt Solomonoff Nicos Vorstellung von Männlichkeit immer wieder anderen Ideen von „Mannsein“ gegenüber: Der Streit mit dem Vater des Babys, um das er sich kümmert, wird ein stilles Ringen darum, wer der größere Macho ist; ein Abend mit Kara endet in einem Flirt, der spielerisch nutzlos bleibt; und als Nico seinen Ex auf dem New Yorker Flughafen trifft, gesteht er ihm in einer reichlich unglücklichen Situation seine Liebe. Am Ende ist Nico aller Illusionen über New York beraubt und findet das Glück in einem Schritt, der konsequent ist, weil er Scheitern als einen Weg zu Selbstfindung beschreibt.

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Solomonoffs hat acht Jahre nach ihrem Durchbruch als Regisseurin mit „Mein Sommer mit Mario“ (2009) einen Film gemacht, der kaum besser in die Zeit passen könnte. „Nobody’s Watching“ ist ein stiller Film darüber, wie ein Fremder an der Fremde fast zerbricht, und dabei vor allem von Guillermo Pfenings Präsenz lebt. Der ist in jeder Szene des Films zu sehen und liefert mit Nico eine Figur ab, die einem oft nicht sonderlich sympathisch ist, die man aber immer versteht. Dafür ist Pfening beim Tribecca-Filmfestival zu Recht mit dem Darsteller-Preis ausgezeichnet worden. Ob es ein größeres Lob für einen Film über New York und seine Abgründe geben kann, als beim bekanntesten New Yorker Filmfestival ausgezeichnet zu werden?



Nobody’s Watching
von  Julia Solomonoff
AR/ES/CO/US 2017, 102 Minuten, FSK 16,
engl. OF mit dt. Untertiteln,
Pro-Fun Media

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