Mein Leben mit James Dean

Im Kino

In „Mein Leben mit James Dean“ ist ein junger Filmemacher mit seinem ersten Film, der von schwulem Begehren und Kinoleidenschaft erzählt, auf Kinotour in der französischen Küstenprovinz. Mit schrägem Humor und traumähnlichen Bildern verwandelt Dominique Choisy den selbstreferentiellen Komödienplot in eine beharrliche Liebeserklärung an das Kino. Denn das unerwartete Kulturevent infiziert die wenigen Menschen, die es aus unterschiedlichen Gründen ins Kino verschlägt, mit einer Sehnsucht nach Leidenschaft und Andersartigkeit, die schnell auch den Film darüber erfasst.

Foto: Pro-Fun

Von Möwen und Menschen

von Jan Künemund

Gerade am Tag, an dem die Filmfestpiele von Cannes beginnen, mag man sich der Vorstellung hingeben, dass junge Filmemacher mit ihren zutiefst persönlichen, künstlerisch ambitionierten Debüts im cinephilen Frankreich besonders gut aufgehoben seien. Dort allerdings, wo der melancholische Held aus „Mein Leben mit James Dean“ mit dem etwas kapriziösen Namen Géraud Champreux vom Überlandbus ausgespuckt wird, um sein Erstlingswerk persönlich zu präsentieren, ist man auf Filmkunst schlecht vorbereitet. Im „Möwencafé“ im vorsaisonalen Kanalküstenkaff Le Tréport reißen die Fischer die Augen auf, als der junge Herr mit dem verwirrend buntgemusterten Halstuch nach dem lokalen Kino fragt, in dem heute sein Film laufen soll. Ein eigener Film? In unserem Kino? Komödie oder Actionfilm? Weder noch, räuspert sich wie noch häufig im Verlauf der Handlung der Regisseur, der ungern Aufmerksamkeit auf sich zieht – sein Film sei „etwas speziell“.

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Von diesem Film, der genauso heißt wie der Film, der Champreux im Möwencafé zeigt, sieht man später kurze Ausschnitte. Zwei junge Männer sind zu sehen, die sich in einem verlassenen Haus begegnen, eine Einstellung später sind sie nackt und fallen übereinander her, während noch die Anfangstitel laufen: „Ein Film von Géraud Champreux“. Das Debüt ist also ein schwules Melodram, mit einer Hauptfigur, die sich James Dean als imaginären Freund herbeiträumt, mit einem Hauptdarsteller, in den der Regisseur natürlich unglücklich verliebt ist, nun folgt die Kinoauswertung und in diesem Kontext die Einladung einer Kinoverbundschefin, die Champreux mit seinem „etwas speziellen Film“ durch Küstenkäffer in der Normandie und Picardie schickt, wo sich Fischer und Möwen um die letzten Fische streiten. Der junge Künstler wird baden gehen, so viel ist sicher.

Diese Ausgangssituation könnte jetzt nicht unbedingt einen Actionfilm, aber zumindest eine platte Komödie ergeben, an deren Überproduktion das französische Kino ja aktuell nicht ganz unschuldig ist. Doch der altersweise Filmemacher Dominique Choisy hat keine Lust, sich über den radikalen Kunstanspruch junger Filmemacher oder den schlechten Filmgeschmack in der Provinz lustig zu machen. Tatsächlich interessiert ihn eher das Gegenteil: Er erzählt, wie ein Film über ein „spezielles Begehren“ alle Menschen, die damit in Berührung kommen, ermächtigt, zu ihren großen, filmreifen Gefühlen zu stehen.

Foto: Pro-Fun

Da ist zum Beispiel Sylvie, die Kinoverbundschefin, die der Film zum Weinen bringt, weil sie selbst gerade unglücklich in eine Frau verliebt ist. Oder die Hotelfachkraft Gladys, die in ihren Nachtschichten Tschechow auswendig lernt („Die Möwe“ natürlich) und dem Filmemacher endlich von ihren Schauspielträumen erzählen kann. Da ist der 15-jährige Filmvorführer Balthazar, der sich mit seinen gesamten zwei Metern Körpergröße in Géraud verliebt, während sein Vater nach der Filmvorstellung „auf die Schwulen“ anstoßen möchte. Und 58 Bewohner eines nahegelegenen Seniorenheims, die einen etwas speziellen Nachmittag mit Kinobesuch verbringen, während sich ihr junger Heimleiter in die Hotelkraft verliebt. Zu diesem Personal aus untypischen Filmfans an einem cinephiliefernen Ort, das selbst immer kinotauglicher wird, gesellt sich u.a. noch eine mysteriöse ältere Dame hinzu, die keine Vorführung verpasst, und die von Françoise Lebrun aus Jean Eustaches „Mama und die Hure“ (1973) gespielt wird. Und ein junger Geflüchteter, der in einer fremden Sprache romantische Lieder singt, wenn er nicht gerade die Möwen füttert, und, wie sich herausstellen wird, ein Prinz aus einem anderen Film ist.

Foto: Pro-Fun

Immer mehr wird „Mein Leben mit James Dean“, der zunächst nach einer Klischees verschaltenden Provinzkomödie aussieht, von seinem „Film im Film“ erfasst, vom schwulen Begehren und der plötzlichen Nacktheit zwischen zwei Einstellungen, von der Sehnsucht nach James Dean und Realitätsflucht, von der Leidenschaft, die jeder Filmemacher in sein erstes Werk investiert. Die fast menschenleere vorsaisonale Kanalküste färbt sich in artifiziellen Farben, die Dialoge klingen immer mehr nach Theater, die Kleidungsmuster der Küstenbewohner beißen sich mit den Hintergründen, die Bewegungen werden slapstickhaft. James Dean zwinkert von den Filmplakaten, und irgendwann werden die provinziellen Regungen so melodramatisch, dass Géraud noch im Möwencafé beginnt, seinen neuen Film auszubrüten. Arbeitstitel: „Von Möwen und Menschen“. Schließlich, nach mehreren melodramatischen Wendungen, wird daraus: „Der Maharadscha und die Möwen“. Und wie das aussehen könnte, sehen wir am Ende auch noch. Wir freuen uns jetzt schon.

Foto: Pro-Fun

Die ins Bild und wieder aus ihm heraus fliegenden Möwen sind das einzige störrische Element in diesem Film, dessen natürliches Setting Dominique Choisy ansonsten sanft und konsequent zur abgeschlossenen Filmkulisse verfremdet. Auch wenn es die Kinos, in denen normalerweise keine speziellen Filme laufen, in Le Tréport, Crécy und Quend Plage tatsächlich gibt (als dieser Text geschrieben wird, läuft in allen „Taxi 5“, eine Actionkomödie von Luc Besson), setzt der Film einen nicht-realistischen Ton, der queer und altmodisch zugleich ist. Jedes Detail der sinnlich erfahrbaren Welt dient ihm als Durchlaufmaterial für Kameras und Projektoren, als Erregung zwischen Publikum und Leinwand. Figuren hier sagen Sätze wie: Ich liebe dich, ich habe deinen Film gesehen! (Und der Film gibt ihnen Recht.) Oder, wenn sie Liebeskummer haben: Das Leben ist kein Film! (Und der Film sagt: Abwarten.) Ein schräger Witz ergibt sich aus dieser Setzung, der an die Filme von Alain Giraudie erinnert, der ja ebenfalls mit seinen Geschichten nicht aus Zufall in die Provinz geht.

So unbedingt an die Verführungskraft von Kino zu glauben, ist dann aber vielleicht doch etwas typisch Französisches, Ausdruck einer Cinephilie mit wachen Augen und großen Herzen. Und ein bisschen speziell. (Abwarten. Wir sehen uns in 107 Minuten.)




Mein Leben mit James Dean
von Dominique Choisy
FR 2017, 108 Minuten, FSK 12,
franz. OF mit dt. Untertiteln,
Pro-Fun Media

Ab 10. Mai hier im Kino.

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