Ma Belle, My Beauty

Text IText II • TrailerDVD/VoD

Jetzt als DVD und VoD: Lane liebte Bertie, Bertie liebte Lane – und auch Fred. In New Orleans führten sie einst eine Dreierbeziehung, bis die irgendwann nicht mehr funktionierte und Lane aus dem gemeinsamen Leben verschwand. Zwei Jahre später haben Bertie und Fred geheiratet und sind zusammen nach Südfrankreich gezogen. Doch dann steht plötzlich Lane wieder vor der Tür… Vor dem Hintergrund einer sommerlichen Kleinstadtidylle erzählt Marion Hill von einem emotionalen Wiedersehen, das alte Wunden aufreißt und neue Fragen aufwirft. Das fein beobachtete Porträt dreier verliebter Menschen haben gleich zwei Autorinnen für uns gesehen: Barbara Schweizerhof freut sich über einen wunderbar erwachsenen Film, der die Komplexität von polyamourösen Beziehungen ernst nimmt und davon mit größter Selbstverständlichkeit erzählt; Angelika Nguyen darüber, mit welch forensischer Sorgfalt Hill ihre Figuren entwickelt und deren Motive freilegt.

Foto: Salzgeber

Liebe zu dritt

von Barbara Schweizerhof

Die südfranzösische Landschaft hat etwas unmittelbar Sinnliches an sich, mit ihren duftenden Lavendelfeldern, den Olivenhainen, den Weinbergen, den felsigen Städtchen mit ihren lauschigen Wochenmärkten und der vielen, vielen Sonne. Kaum eine Landschaft erscheint deshalb geeigneter als Hintergrund für eine Geschichte über die Komplexität von polyamourösen Beziehungen. Dass es Liebesverbindungen zwischen mehr als zwei Personen gibt, kommt im Kino bislang meist nur als Gag oder einem koketten Augenzwinkern vor. In „Ma Belle, My Beauty“ ist das endlich einmal anders. Schon mit der ersten Szene wird deutlich, dass die aus New Orleans stammende Independent-Filmerin Marion Hill in ihrem Regiedebüt das Thema nicht auf die leichte, komödiantische Schulter nehmen will.

Um das gut renovierte Bauernhäuschen inmitten von Weinbergen möchte man die Sängerin Bertie und ihren Mann, den Musiker Fred schon beneiden. Aber sobald man die beiden bei der gemeinsamen Probe hört, ist zu spüren, dass zwischen ihnen etwas nicht mehr ganz stimmt. Aus Gesprächen mit Freunden, Nachbarn und Kollegen ergibt sich nach und nach ein Bild von dem, was die beiden zusammen- und hierher gebracht hat. Sie leben noch nicht lange in Frankreich und sie sind auch noch nicht lange miteinander verheiratet. Fred hat mit alten Freunden eine Band gegründet und Bertie hat dafür das heimatliche New Orleans verlassen. Nun ist vor Kurzem ihre Mutter gestorben und sie scheint ihren professionellen Antrieb verloren zu haben. Sie verpasst Proben und singt nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft wie früher. Aber Fred, so stellt sich heraus, hat eine eigene Idee von dem, was Berti fehlen könnte. Und in Gestalt von Lane reist diese Idee bald in persona an.

Mit ungewöhnlicher Selbstverständlichkeit und zugleich großer Beiläufigkeit wird enthüllt, dass Lane zusammen mit Fred und Bertie zuvor in New Orleans in einer polyamourösen Beziehung lebte. Nun löst ihr Erscheinen zunächst mehr Spannung aus als Freude – jedenfalls bei Bertie. In Szenen, die einerseits die lokale Lebenslust feiern, mit Markteinkäufen, abendlichen Gartenfesten und fröhlichem Zusammensein bei Wein, gutem Essen und lockeren Gesprächen, zeichnet sich ab, wie kompliziert die Dreierbeziehung und vor allem ihr Ende tatsächlich war. Bertie fühlte sich von Lane verlassen, sie klagt sie an, von ihr „geghostet“ worden zu sein. Lane hält die wahren Gründe ihres Weggehens verdeckt. Und Fred agiert zwischen den beiden Frauen vor allem zurückhaltend.

Wie überhaupt die Männerfigur in diesem Liebesdreieck kaum mehr als den Hintergrund bildet. Marion Hill, die selbst auch das Drehbuch geschrieben hat, weist ihm die Rolle eines sympathischen Kerls zu, der frei von Eifersucht die Bisexualität seiner Frau anerkennt, ohne sich bedroht zu fühlen. Natürlich ist sein Plan, Bertie mit Hilfe von Lane wieder musikalisch in Stimmung zu bringen, von einem gewissen Egoismus geprägt. Aber andererseits verbindet ihn mit Lane auch durchaus eine kameradschaftliche Freundschaft.

Die Spannung des Films wird von der komplizierten und wechselvollen Beziehung der beiden Frauen im Zentrum bestimmt. Zuerst sieht man Bertie als die sensible, aber solide Künstlerin, die Lanes Besuch mit Misstrauen begegnet. Was will Lane von mir?, scheint sie sich zu fragen. Deren direkte Versuche, die Beziehung wieder aufleben zu lassen, weist sie brüsk zurück. Woraufhin Lane, die auf den ersten Blick als die selbstsicherere und offensivere daherkommt, sehr schnell mit der um einige Jahre jüngeren Israelin Noa anbändelt, die in der Gegend zu Besuch und offen für ein unverbindliches Techtelmechtel ist. Das wiederum scheint Bertie mehr zu erzürnen, als sie zugeben möchte.

Foto: Salzgeber

Regisseurin Marion Hill will sich nicht zufrieden geben mit sinnlicher Atmosphäre und Affären im Milieu von aufgeklärten, fortschrittlich gesinnten und toleranten Menschen. Sie geht noch einen Schritt weiter, insistiert gleichsam darauf, tiefer in die Gefühlswelten hinter den behaupteten Lebensentwürfen ihrer Protagonistinnen einzudringen. Und nach und nach entdeckt man, dass die Machtverhältnisse zwischen Bertie, Fred und Lane eigentlich andere sind als auf den ersten Blick gedacht. Immer mehr zeichnet sich ab, dass Berti weniger die Verlassene und Verletzte ist, sondern im Grunde die, die im Zentrum die Fäden in der Hand hält und sowohl Fred als auch Lane auf ihre Weise manipuliert. Nicht aus einem intriganten Plan heraus, sondern in instinktiver Bedürftigkeit. Lane wiederum, die nach außen so viel weniger verletzlich, sondern sportlich-stark und unabhängig wirkt, erweist sich am Ende als die emotional abhängigere, als diejenige, die dem Spiel Bertis nur schwer entkommen kann.

Hill packt ihren Film voll Stimmungen und Blicke; ihr Südfrankreich ist ein von der Realität leicht enthobener, idyllischer Ort, der sich mittels der betont bodenständigen Kameraarbeit und einem großen Gespür für Ausstattung aber absolut wirklich anfühlt. Man glaubt auf der eigenen Haut zu spüren, welche Temperatur auf der Leinwand herrscht. Die Verbindung von sinnlicher Realität, schön beiläufig gehaltenen Dialogen und dem mutigen Blick auf die echte Komplexität von Beziehungen, macht „Ma Belle, My Beauty“ zu einem wunderbar glaubwürdigen Film. Nichts muss erst erklärt oder gelabelt werden. Hill verzichtet ganz auf die übliche Dramaturgie des Geheimnisse-Lüftens, der Vorbereitung und Durchführung von Coming-outs oder Ähnlichem. „Ma Belle, My Beauty“ ist in dieser Hinsicht ein entschieden erwachsener Film, dessen Figuren mit ihrer jeweiligen sexuellen Identität völlig einverstanden und im Reinen sind. Aber allein daraus, davon erzählt Hill ohne Scheu, ergibt sich eben noch kein gelingendes Liebesglück, weder zu zweit, noch zu dritt. Menschen sind widersprüchlich, und ihre Entfaltung beginnt erst richtig da, wo ihre Beziehungen sich an den eigenen Neigungen ausrichten.

 


Bleiben oder gehen

von Angelika Nguyen

Noch vor dem ersten Bild lärmen die Zikaden. Sommer. Südfrankreich. Swimmingpool. Aber kein träger Urlaub wird hier verbracht. Hier geht es um Gigs und die Vorbereitung einer Tour. Das Paar Bertie und Fred probt drinnen ein Lied, Bertie soll singen – und kann nicht. „Meine Kopfschmerzen bringen mich um“, sagt sie, meint aber etwas anderes. Eine Besucherin taucht auf, Lane. Sie wurde von Fred am Bahnhof abgeholt, er bringt sie zu dem großen Haus mit den kleinen Fenstern, die die Hitze draußen lassen. Zwischen Bertie und Lane knistert die erotische Spannung von der ersten Sekunde an. Bertie gießt gerade Blumen, erblickt Lane durch die Scheibe, hält sofort inne. Sie berühren sich nicht zur Begrüßung, keine französischen Küsschen auf die Wangen. Aber die Leinwand bebt. Sie sind US-Amerikanerinnen, haben in New Orleans mit Fred zu dritt gelebt. Das wird nach und nach erzählt. Irgendwann endete das, weil Lane gegangen war. Das hier ist der Beginn ihrer neuen Begegnung.

Fred hatte Lane hergeholt – die Gründe dafür sind zunächst rätselhaft. Haben doch Fred und Bertie inzwischen sogar ganz ordentlich heteronormativ geheiratet. Sie leben in diesem großen herrlichen Haus von Freds Eltern und arbeiten an ihrer Musik. Sie haben Zeit, sind in der Umgebung verankert, eine Tour steht bevor. Ein gehobenes, kreatives Leben scheint perfekt. Aber da gibt es ein Problem: Bertie hat diese Sing-Blockade. Etwas fehlt. Um dieses fehlende Etwas rankt sich das folgende Drama.

Regisseurin Marion Hill, die außerdem Autorin und Cutterin des Films ist, entfaltet die Erzählung ganz allmählich. Der Bogen wird sorgfältig gespannt. Es gibt die Einführung, die Smalltalks, die Höflichkeiten, bis bestimmte Sätze fallen. „Ich fang nichts mehr mit ihr an“, sagt etwa Bertie zu Fred, belauscht von Lane. Doch es wird klar, dass das gar nicht das Problem ist. Es geht nicht um Eifersucht zwischen den dreien. Sondern darum, dass jede:r in dieser Dreierkonstellation ein anderes Ziel hat. Freds Verlangen scheint weniger erotischer Natur zu sein, es geht ihm vor allem darum, die Sing-Blockade von Bertie aufzuheben, die als Sängerin eigentlich der Magnet der Band ist. Lane ist eifersüchtig auf die Hochzeit. „Sorry“, sagt sie, „ich kann mich nicht an dieses Ehefrau-Zeug gewöhnen.“

Foto: Salzgeber

Die Luft flirrt vor Begehren zwischen Bertie und Lane. Der Blick Lanes bleibt an Bertie haften, während Fred ihr die Hochzeitsfotos zeigt. Lane, so scheint es, will Bertie zurück und kann sie nicht haben. Aber so einfach ist das nicht. Als Lane mit der umwerfend aussehenden Israelin Noa (der wahre dritte erotische Part in der Geschichte), die sie gerade auf einer Party kennengelernt hat, unverhohlen anbändelt, fängt Bertie plötzlich an zu singen. Zu einer einzelnen Gitarre so eindringlich und so gekonnt, dass man versteht, warum Fred so auf sie setzt bei der Tour. Der Text des Lieds erzählt von einer Liebe, die sicher nicht Fred meint. „Schau weg“, singt Bertie, „deine Augen durchschauen mich. Mit deinem Blick werde ich nie frei sein. Ich denk an dich, wenn ich einschlafe, ich denk an dich, wenn ich aufwache. Vom ersten bis zum letzten Sonnenstrahl holt es mich ein. Eine Liebkosung, sonst zählt nichts. Sollten wir uns berühren, fällt meine Welt auseinander.“ Erfreut stimmt Ehemann Fred mit dem Saxophon ein – er hat die Sängerin wieder, die er braucht.

Der Höhepunkt der Geschichte ist erreicht, als Lane scheinbar getrost wieder einziehen könnte – ein Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes, mit einer enorm intensiven und authentisch wirkenden Sexszene zwischen Lane und Bertie. Ein Highlight im weiblichen queeren Kino, den Darstellerinnen und Marion Hill sei Dank. Und dann beginnt der spannende Showdown.

Der Film erzählt keine Ménage-à-trois. Ganz klar sagt Lane einmal, dass es sich nicht um eine Dreiecksbeziehung handelt, vielmehr waren Fred und Lane zur selben Zeit mit Bertie zusammen, hatten aber nichts miteinander. Der Film erzählt die Leidenschaft zwischen zwei Frauen, die nicht voneinander lassen, aber auch nicht miteinander leben können, und wie beide ihren eigenen Ausweg aus diesem Dilemma suchen. Bertie nutzt ihre Liebe zu Fred, der eher zur Nebenfigur gerät, um ein „friedliches“ Hetero-Leben aufzubauen; Lane ist auf andere Art auf der Flucht.

Foto: Salzgeber

Mit beinahe forensischer Sorgfalt legt Hill die Motive ihrer Figuren frei. Sie zeigt die anfängliche Zurückhaltung der Figuren, dann Smalltalks, „Wie geht’s dir?“, „Was machst du?“. Die Handlung tritt in dabei in den Hintergrund. Es geht auch um die Hitze, die Trunkenheit, die Sonnenpunkte im Schatten, um das Haus, seine Dunkelheit bei Nacht. Das Leben wird gefeiert, beim Abendessen mit Nachbarn, auf einer Party bei Freunden. Viel Alkohol, viel Lachen. Bertie liest „Jane Eyre“ zum zwölften Mal, läuft mit Lane durch die engen Straßen des kleinen Orts, sucht fröhlich Früchte auf dem Markt aus. Oder: Fred, Bertie und Lane laufen zur Party, dargestellt in Zeitlupe, Fred trägt Rotwein und Saxophon, Bertie ist als geliebte Prinzessin in der Mitte, lachend. Und doch ist Bertie vielleicht die Traurigste von allen. Der Film ist aufmerksam mit Details, erzählt damit seine Figuren: der Swimmingpool steht für sonnenbeschienenen Spaß und nächtliche Ratlosigkeit, die Küche fürs Kochen und Trinken und Reden, der Markt für soziale Begegnungen, die Radfahrten für unbeschwerte Gemeinsamkeit.

Marion Hill, selbst mit Wurzeln in Vietnam, Frankreich und England, nutzt bewusst die jeweilige Herkunft der Darstellenden für ein vielfältiges Figurenensemble: Idella Johnson (Bertie) ist Afroamerikanerin, Hannah Pepper (Lane) weiße US-Amerikanerin, Lucien Guignard (Fred) hat spanische Wurzeln, und Sivan Noam Shimon (Noa) ist wie ihre Figur aus Israel. Dazu der Soundtrack des in New Orleans lebenden Marokkaners Mahmoud Chouki. Der erste abendfüllende Spielfilm von Marion Hill bekam auf dem Sundance-Festival 2021 den Publikumspreis. Und wird mit seinem stimmungsvollen Porträt verliebter Menschen bestimmt auch hierzulande die Zuschauer:innen berühren.




Ma Belle, My Beauty
von Marion Hill
US 2021, 96 Minuten, FSK 16,
englisch-französische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

 

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