Loving Highsmith

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Jetzt im Kino: Mit Romanen wie „Zwei Fremde im Zug“ und „Der talentierte Mr. Ripley“ schuf Patricia Highsmith Weltliteratur. Ihr Privatleben hielt die Meisterin des psychologischen Thrillers derweil zeitlebens vor der Öffentlichkeit verborgen. Dass sie lesbisch war, wusste nicht einmal ihre Familie in Texas. Ihren lesbischen Liebesroman „Salz und sein Preis“ (später als „Carol“ erschienen) konnte sie 1952 nur unter Pseudonym herausbringen. Über ihr eigenes, bewegtes Liebesleben schrieb sie in ihren Tage- und Notizbüchern, die erst nach ihrem Tod entdeckt wurden. Eva Vitijas vielschichtige Liebesbiografie „Loving Highsmith“ folgt den Lieben und Leidschaften der Autorin – und ist zugleich das Porträt einer Generation von Frauen, die mit Highsmiths „Salz und sein Preis“ den Mut fand, für ihr Recht auf Liebe zu kämpfen. Anja Kümmel über ein dichtes, berührendes Porträt.

Patricia Highsmith – Foto: Ellen Rifkin Hill, Courtesy Swiss Social Archives

Eine gute Sünde

von Anja Kümmel

Manhattan, Mitte der 1950er Jahre: Wer ist die dunkelhaarige Frau im Trenchcoat, die an der Bar des berühmt-berüchtigten „L’s“ ein Glas Gin nach dem anderen kippt, eine Zigarette nach der anderen raucht? In der Welt da draußen erkennen viele sie als Patricia Highsmith, die Autorin des Romans „Zwei Fremde im Zug“, den Alfred Hitchcock 1951 verfilmte und dadurch die gerade mal 30-Jährige über Nacht weltberühmt machte. Doch das „L’s“ ist eine Lesbenbar, und einige Stammgäste munkeln, dass sich hinter der hochgewachsenen Brünetten zugleich Claire Morgan verbirgt, die 1952 mit ihrem lesbischen Skandalroman „Salz und sein Preis“ für Aufsehen sorgte. Nicht zu vergessen, wir befinden uns mitten in der McCarthy-Ära: Als queere Person verriet man besser keinem Taxifahrer den Namen der Bar, zu der man wollte, oder stieg eine Station zu früh aus der U-Bahn, um nicht in Verdacht zu geraten. Eine einfühlsame lesbische Liebesgeschichte mit glücklichem Ausgang hatte in dieser Zeit keinen Platz – und verkaufte sich dennoch millionenfach. Highsmith hatte sich, um ihren Namen und den ihrer Familie zu schützen, für das Pseudonym „Claire Morgan“ entschieden. Erst 1990 bekannte sie sich öffentlich zur Autorschaft des mittlerweile zum Kultklassiker avancierten Werks.

Im „L’s“ tritt Ende der 1950er Jahre auch Marijane Meaker in Highsmiths Leben. Meaker, die in den 50er und 60er Jahren (ebenfalls unter Pseudonym) in großer Zahl lesbische Pulp
Fiction verfasst, verliebt sich sofort in die geheimnisumwitterte Schöne. Später wird sie ihrer ehemaligen Geliebten in „Meine Jahre mit Pat“ (Diogenes Verlag, 2005) ein empathisches Denkmal setzen – zu einer Zeit, in der die 1995 verstorbene Grande Dame komplexer Kriminalromane (am bekanntesten wohl die Tom-Ripley-Serie) den meisten aufgrund entsprechender Medien-Berichterstattung menschlich eher als verschrobene, menschenscheue, verbitterte Gestalt in Erinnerung geblieben sein dürfte. Es ist sicher nicht zuletzt Meakers wohlwollender Blick auf „Pat“, der die mittlerweile 95-Jährige zu einer zentralen Protagonistin in Eva Vitijas Filmporträt „Loving Highsmith“ macht. Denn  hier ist der Titel Programm: Gleich zu Anfang gibt die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin unumwunden zu: „Als ich ihre unveröffentlichten Tagebücher las, verliebte ich mich in Highsmith selbst.“

Der dichte, berührende Dokumentarfilm fügt nicht nur dem inzwischen zum Klischee geronnenen Bild der misanthropischen Einsiedlerin neue Facetten hinzu – Vitija räumt zudem den lesbischen Beziehungen und Affären der Bestseller-Autorin, ihrem Begehren und ihren Obsessionen erstmals einen zentralen Platz ein. Zwar unterschlägt der Film nicht, dass Highsmith ihre letzten Lebensjahrzehnte in relativer Abgeschiedenheit in England, Frankreich und zuletzt in einem kleinen Bergdorf im Tessin verbringt, umringt lediglich von Katzen und Schnecken. Der Fokus ist jedoch ein anderer: Anstatt ihr Sujet von außen zu betrachten wie eine fremdartige, wenngleich faszinierende Spezies, lässt Vitija die Autorin in weiten Teilen selbst sprechen. Dabei stützt sie sich vor allem auf ein Konvolut von Aufzeichnungen, die Highsmith hinterließ – rund 8000 Seiten umfassende Notiz- und Tagebücher, die nach dem Tod der Autorin im Wäscheschrank ihres Hauses bei Locarno auftauchten (ein sehr lesenswertes Destillat daraus erschien im Herbst 2021 bei Diogenes).

Interviews gab die Autorin nur ungern und selten, gerade deshalb sind ihre Aufzeichnungen ein kostbares Zeugnis. In der deutschen Fassung werden Passagen daraus von Maren Kroymann gelesen; dazwischen mischt sich die Stimme der Regisseurin, die uns mitnimmt auf ihre Spurensuche und ihre Annäherung an Highsmith. Neben Meaker suchte Vitija weitere ehemalige Geliebte, Weggefährtinnen und Verwandte der Autorin auf und befragte sie zu ihren Erinnerungen, darunter etwa die Französin Monique Buffet, oder auch die 2020 verstorbene Schauspielerin Tabea Blumenschein, mit der Highsmith im West-Berlin der späten 70er im „Dschungel“ und im „Risiko“ die Nächte durchtrank.

Marijane Meaker – Foto: Salzgeber / Ensemble Film

Andere unerwiderte Schwärmereien, toxische Verstrickungen und emotionale Achterbahnfahrten, oft mit verheirateten oder viel jüngeren Frauen, werden lediglich erwähnt. Dass Vitija selektiv vorgeht, ist ihr nicht zu verdenken – in den 40er und 50er Jahren war Highsmith bekannt als Party-Queen der New Yorker und Pariser Bohème und hatte zahlreiche Eroberungen (im Diogenes-Band muss man, um den Überblick über all ihre Geliebten zu behalten, oft genug aufs Register am Ende zurückgreifen). Aus heutiger Sicht erfrischend, betont der Film auch diese Facette bzw. Phase in Highsmiths Leben: lebenslustig, hedonistisch und selbstbewusst lesbisch. „Ich finde, Sex sollte eine Religion sein. Ich habe keine andere“, vertraut Highsmith 1941 ihrem Tagebuch an. Knapp zehn Jahre später zieht sie mit Marijane Meaker und fünf Katzen aufs Land nach Pennsylvania und lebt dort den häuslichen Traum lesbischer Zweisamkeit. „Auch wenn es eine Sünde war, eine weibliche Geliebte zu haben“, resümiert Meaker 60 Jahre später: „es war eine gute Sünde“. Allerdings erweisen sich Highsmiths exzessiver Alkoholkonsum, ihre Launenhaftigkeit und Rastlosigkeit schon bald als Beziehungskiller – Highsmith zieht weiter, nach Europa, beständig auf der Suche nach neuen Gesichtern, Orten, Eindrücken, nach Stimulation und Bestätigung.

Die dunklen Seiten der Autorin, die meist im Zusammenhang mit ihren psychopathischen Romanfiguren gelesen wurden, den zivilisierten Mördern und charmanten Betrügern, versucht Vitija vielmehr mit Rückblicken in Highsmiths Kindheit zu erklären: Das lebenslange Trauma, ein ungewolltes Kind zu sein, die schwierige Jugend zwischen Texas und New York, die andauernde Hassliebe zur Mutter. Auf dieser Folie lässt uns der Dokumentarfilm Highsmiths innere Zerrissenheit besser verstehen, ohne dabei simple kausale Zusammenhänge herzustellen. Auch ihr widersprüchliches, schwankendes Verhältnis zu ihrem lesbischen Begehren, ihr Hadern mit der eigenen Geschlechtsidentität und ihr teils misogyner Blick auf Frauen lassen sich vor diesem Hintergrund besser einordnen. Ihr späterer Zynismus und regelrechter Menschenhass, ihre rassistischen und antisemitischen Ausfälle, werden allerdings nur kurz erwähnt.

Patricia Highsmith – Foto: Courtesy Swiss Literary Archives

Der Grundton von „Loving Highsmith“ bleibt ein wohlwollender, verständnisvoller. Zwar scheint „The Wicked Old Witch of the West“ (wie ein Weggefährte sie einmal bezeichnete) hin und wieder durch, doch eher in Form von Hilflosigkeit und unverarbeiteten Verletzungen, die Highsmith mit sich herumschleppt. Anstatt eines voyeuristischen Blicks in die seelischen Abgründe einer Krimi-Autorin, vermittelt der Film ein Gefühl für den unüberwindlichen Gegensatz zwischen der Einsamkeit, die das Schreiben ihr abverlangt, und einer Sehnsucht nach Stabilität und Nähe, die unter der zynischen Oberfläche immer wieder anklingt. Und nicht zuletzt für die Tragik, als queere Frau alt zu werden in einer Welt, die für diese Lebensweise kaum Vorbilder kennt.

Vitijas Bildsprache besticht durch eine unaufdringliche Eleganz, die vielleicht am ehesten jener „Pat“ gerecht wird, die Mitte der 50er an der Bar des „L’s“ an ihrem Gin nippt: Geschmeidig verknüpft die Regisseurin Szenen aus bekannten Highsmith-Verfilmungen mit klassischen Interviewsequenzen, Fotos und Videomaterial, während aus dem Off hin und wieder Highsmiths Stimme im Original erklingt. Vitija konzentriert sich ganz auf ihr Sujet, ohne ihr Porträt experimentell zu überfrachten. Subtil poetische, verspielte Einschübe gibt es allerdings auch – etwa wenn Highsmiths Notizen auf dem Bildschirm erscheinen, sich der Frame mit mehr und mehr Randbemerkungen füllt, bis ein kaum mehr leserliches Schriftstück entstanden ist. Wir hören also nicht nur Maren Kroymanns Stimme die Aufzeichnungen vorlesen, wir bekommen zugleich einen visuellen Eindruck davon, wie Highsmith ihre Gedanken ordnet, überwirft, neu ordnet, zensiert, dekoriert, verfeinert. Das aus allen Nähten platzende abstrakte Kunstwerk, das am Schluss den Bildschirm bedeckt, gewährt uns einen flüchtigen Einblick in Highsmiths überreiche Phantasie, das überbordende fiktive Universum, das sie erschaffen hat und das sie lange überleben wird.




Loving Highsmith
von Eva Vitija
CH/DE 2022, 83 Minuten, FSK 12,
deutsche Fassung, teilweise mit deutschen Untertiteln,
Salzgeber

Ab 7. April im Kino.

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