Jonathan

Trailer • Kino

In „Jonathan“ von Piotr J. Lewandowski wird Schwulsein als familiengeschichtlich begrabenes Geheimnis aufgedeckt. Diesen Job muss die Hauptfigur übernehmen, ein sich mit Haut und Haar dem Landleben verschreibender 23-Jähriger, dem Jannis Niewöhner eine intensive Präsenz verleiht. Mit einer queeren Perspektive hat das wenig zu tun, trotzdem gibt es Einiges anzuschauen, wenn man den Plot ein bisschen ausblendet.

Foto: Farbfilm

Im Funkloch

von Jan Künemund

„Typisch deutscher Debütfilm“, meinte ein Kritikerkollege nach der Pressevorführung. Er meinte: zu viele Themen auf einmal, losgelöste inhaltsleere schöne Bilder dazwischen, übertriebenes Schauspiel. Stimmt alles. Ums Sterben geht’s, ums Ins-Leben-Eintreten auch, um Tod und Sex, verwelkende und aufblühende Körper – und wen diese kreatürlichen Beschreibungen hier wundern: das Kreatürliche bestimmt die Bilder, man kommt nicht daran vorbei, Motten in Großaufnahme, Ameisen, Spinnen, was halt so krabbelt und flattert auf dem Land, wann immer die Menschen dort Pause haben.

„Jonathan“ spielt auf einem Bauernhof, gedreht ist das im Schwarzwald, bei 40 Grad. Der Held gleichen Namens hütet ihn und pflegt gleichzeitig seinen sterbenden Vater. Es gibt noch eine Tante, Martha, die sich dort abrackert, und, wenn sie Pause hat, betrunken mit dem Traktor durch die Nacht fährt. Das hätte ein tolles losgelöstes Bild sein können: ein weiblicher Feierabendexzess auf dem Land, aber leider ist in diesem Film sowas durchgehend überdeterminiert: die Menschen trinken, weil sie Kummer haben, und der Exzess muss immer dann sein, wenn eigentlich etwas zur Sprache kommen, aus den Figuren herausbrechen soll.

Bleiben wir aber bei den schönen Dingen, die in der Geschichte leider allzu festgezurrt sind. Auf dem Hof findet ein Resozialisierungsprogramm für drogensüchtige Jugendliche statt, die kommen ca. dreimal toll ins Bild: verwuschelte Großstadtkinder, für die die Kühe „wandelnde Steaks“ sind, die sich wegen der kurzen Stengel ihrer Heugabeln aufziehen und die zum großen Familiendrama, das der Film eigentlich erzählt, Kuchen backen müssen. Klar, das große Familiendrama ist in „Jonathan“ die Hauptsache, betrunkene Tanten und verpeilte Junkies Nebensachen. Aber es gibt eben auch eine vom Gerüst losgelöste Ebene im Film, in der eben auch das ganze krabbelnde Viehzeug aufgehoben ist, mit einem urbanen Auge staunend registriert, als hätte der Regisseur seinem Kameramann gesagt: Wir sind hier auf dem Land, fang mal ein bisschen Leben ein! Zu dieser Ebene gehört allerdings auch der Körper des Hauptdarstellers Jannis Niewöhner, an dem sich die Kamera nicht satt sehen kann. Als Schauspieler macht er einen tollen Job, die Gesten stimmen, die Arbeitshandgriffe auf dem Hof, die Ausbrüche, Exzesse, das Schreien, das Weinen, das Lachen, das Erwachsenwerden, alles, worauf es in der Hauptgeschichte ankommt. Aber die Kamera schaut dabei auf Muskeln, Frisuren, Bewegungen, Posen: Wenn Jonathan am Ende auf einen Strandwachtturm in der Ostsee steigt, ist das so gefilmt, als würden Meer, Strand und Sonnenuntergang nur für seine Pose existieren. Eine pubertäre Allmachtsfantasie, die Welt soll ihm gehören, der Film schickt ihn raus, ins Leben, es wird ihm schon alles zu Füßen fallen: wie schwul der Körper dabei inszeniert wird, das würde man sich im selbstbewussten Queer Cinema schon lange nicht mehr trauen.

„Jonathan“ ist nämlich kein selbstbewusstes Queer Cinema. Er erzählt eine Geschichte, in der Leben, Begehren und Sexualität ziemlich klassisch ineinander aufgehen sollen – das ist das, was man so landläufig „heteronormativ“ nennt. Schwulsein hat dieses geschlossene Familiengefüge, mit der die Hauptgeschichte so beschäftigt ist, mal ziemlich empfindlich gestört, das platzt dann auch zwischen Sterben und Ins-Leben-Treten endlich mal auf, wird aber zielsicher wieder geheilt und geschlossen. Ein frei zirkulierendes Begehren, das sich nicht daran hält, entwickelt da eher die Kamera in ihrer Lust am Körper des Hauptdarstellers. Und dann gibt es diese eine Szene, die tatsächlich vom schwulen Begehren erzählt: Sex auf dem Krankenbett, zwei ältere Männerkörper, krebskranke Haut, in die Schläuche gelegt sind, ein klinisch sauberer Ort – und auch hier verliebt sich die Kamera wieder. Passt schon irgendwie in die heteronormative Geschichte (die, die da Sex haben, hätten für Jonathan halt Papa & Papa sein können), erzählt aber im unbedingten Willen, hinzuschauen, was diese Körper miteinander anstellen, auch eine eigene Geschichte (aus staunender Perspektive).

„Endlich raus aus dem Funkloch“ will Jonathans bester Freund Lasse. Das heißt: nach Berlin, in saubere Wohnungen, zu den Bikinimädchen. Diesen Weg zeigt der Film auch für seine Hauptfigur auf, wenn das mit dem Heilen und Sterben und Aufdecken der Geheimnisse mal durch ist. Aber was machen wir dann mit den Spinnweben, Nachtfaltern, dem Morgennebel, den zitternden Rindern, den Heupartikeln im Gegenlicht, dem Schweißtropfen, der an Jonathans Oberkörper herunterläuft?



Jonathan
von Piotr J. Lewandowski
DE 2016, 99 Minuten,
deutsche OF
farbfilm verleih

Aktuell hier im Kino zu sehen.

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