Heartland

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Das Regiedebüt der Filmemacherin Maura Anderson basiert auf den persönlichen Erlebnissen von Drehbuchautorin Velinda Godfrey, die in „Heartland“ selbst die Hauptrolle spielt: Lauren ist eine 26-jährige Künstlerin, die nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin mit nichts als ihrer Handtasche und einem Rollkoffer zu ihrer Mutter ins Elternhaus zurückkehrt, ins Herz des ländlichen Amerikas. Ein berührend zurückhaltender Film über die Suche nach Geborgenheit, über alte und neue Familienkonflikte, eine unverhoffte Romanze und das Entdecken neuer Lebensperspektiven.

Foto: Edition Salzgeber

Porträts in Pastell

von Natália Wiedmann

Einige wenige Szenen skizzieren den Ausgangspunkt: Ein Leben endet und ein zweites bricht auseinander. Vier Monate lang hat Lauren im Krankenhaus das Sterben ihrer Partnerin begleitet; nun gleiten ihre Finger sanft über einen Stadtplan und fahren die Route eines Ausflugs entlang, den sie nie gemeinsam unternehmen werden. Ein erstes und letztes Mal ist die krebskranke Nicole im Film körperlich anwesend, danach nur noch in den Spuren, die sie hinterlassen hat – etwa als zarte Zeichnung in Laurens Künstlerblock oder in Form einer Antwort, die Nicole auf die Frage gab, warum es sie als Künstlerin ausgerechnet von Paris nach Oklahoma gezogen hatte: „The people here don’t think they’re important enough to be painted. That’s why I find them interesting.“ In seiner poetischen Schlichtheit umreißt dieses Zitat nebenbei die Erzählhaltung von Maura Andersons Langfilmdebüt: „Heartland“ verzichtet auf die ganz großen, melodramatischen Gesten und Streichereinsätze im Fortissimo, sondern erzählt ohne Pathos mit der leisen Melancholie eines Indie-Folk-Songs: von einer Begegnung, die nicht die alles verschlingende und alles niederbrennende große Liebe und dennoch von Bedeutung ist, von einer Trauer und von familiären Konflikten, die sich bis zum Ende nicht ganz auflösen, die Figuren aber dennoch nicht komplett isolieren oder zerbrechen lassen.

Laurens Versuch, nach der langen Zeit im Krankenhaus die Bruchstücke eines ehemaligen Alltagslebens wieder zusammenzufügen, scheitert: Ihre Stelle als Designerin in einer kleinen Boutique wurde neu besetzt, ihre Wohnung soll zwangsgeräumt werden, da sie mit den Mietzahlungen im Rückstand ist. Mit nichts als einer Handtasche und ihrem Roller kehrt Lauren zu ihrer Mutter ins Elternhaus zurück, wo bald auch ihr Bruder und dessen Freundin erwartet werden, die Investoren für ein Weingut in der Kleinstadt Guthrie im Herzen Oklahomas gewinnen wollen. (Ein gewagtes Unterfangen angesichts von Reaktionen wie „You don’t drink that stuff, do you?“)

Kaum betritt Lauren ihr Zuhause, schon verfällt ihre Mutter Crystal in den geschäftigen Plauderton des Nichtssagens. Der Mantel des Schweigens hat hier die Form einer neuen, überlangen Tagesdecke, mit der unter Laurens altem Bett alles bequem verdeckt werden kann, was die Mutter so gern unter den Teppich kehren möchte: Aus den Augen kommt so der Skizzenblock mit Laurens Zeichnungen ihrer verstorbenen Freundin und damit im übertragenen Sinne alles, was auf ihre Homosexualität verweist, die ihre Mutter einmal als „that… thing“ bezeichnet.

Foto: Edition Salzgeber

Vergeblich sucht Lauren bei ihrer Mutter, die seit 15 Jahren verwitwet ist, um Rat; für ihre Trauer bietet Laurens Familie keinen Raum. Und so wie Lauren in die zurückgelassene Kleidungsstücke eines früheren Lebens schlüpft, scheint sie sich zunächst auch widerstandslos in ihre alte Rolle zu fügen und übt sich in falscher Rücksichtnahme. Auftritt des älteren Bruders und seiner Freundin: Er – Justin, netter Kerl – hält es für eine wunderbare Idee, wenn sich Lauren durch Designentwürfe für neue Weinetiketten ablenkt. Sie hingegen – Carrie, Tochter eines Weinunternehmers mit Sitz im Napa Valley, die mit ihrer schicken Kleidung im ländlichen Oklahoma fehl am Platz wirkt – ist die erste, die Laurens großen Verlust zu Sprache bringt, ihr Mitgefühl ausdrückt und glaubt, dass Ablenkung nicht das ist, was Lauren braucht. Man erahnt den weiteren Handlungsverlauf: Die Zusammenkunft der Familie wird unausgesprochene Konflikte aufbrechen lassen, die fremde Person als Katalysator des Prozesses wirken.

Foto: Edition Salzgeber

Wenn  der dramatische Höhepunkt des Films etwas vorhersehbar ist, dann deswegen, weil Familientreffen nicht nur in filmischen Erzählungen eine emotionale Herausforderung darstellen. Dass die anfängliche Unfähigkeit der Figuren zur offenen Kommunikation und ihre Charakterisierungen dabei etwas zu ausgestellt wirken, fängt Anderson mit der Zärtlichkeit wieder auf, die sie ihren Figuren entgegenbringt, selbst der manchmal verloren wirkenden Mutter. Immer wieder überraschen die Figuren mit ihren Reaktionen, brechen aus den Stereotypen aus, die sie zunächst zu verkörpern scheinen. Und wenn Carrie und Lauren sich innerhalb weniger Tage näher kommen – erst nur emotional, während einer geschäftlich bedingten Abwesenheit Justins auch körperlich –, dann geht es nicht um eine simple Romanze, in der eine alte Liebe einfach durch eine neue ersetzt wird, der falsche Partner durch den richtigen, die abwesende Person durch eine zufällig anwesende. Mit geradezu beiläufiger Eleganz steht am Ende gerade nicht eine sexuelle Verunsicherung zur Diskussion, vielmehr resultieren die Identitäts- und Beziehungskrisen der Protagonisten aus den Fragen, die diese sich plötzlich hinsichtlich ihrer emotionalen Wünsche und Lebensziele stellen müssen, aus der Ehrlichkeit zu sich selbst, die die Situation einfordert.

Foto: Edition Salzgeber

Die Wahl des Cinemascope-Formats rückt dabei mal die Einsamkeit und Distanz der Figuren in den Blick, fängt in gelösteren Momenten aber auch die Schönheit der Weite, der ländlichen Umgebung ein. Überhaupt scheinen die Figuren immer dann zu größerer Offenheit fähig zu sein, wenn sie sich nicht in den entsättigten hellen Brauntönen der Innenräume aufhalten. Beinah unauffällig ist der zunehmende Einsatz der Handkamera und trägt doch dazu bei, dass die Bilder „atmen“ und der Film trotz des langsamen Erzählflusses nicht starr wirkt, sondern unprätentiös und doch formal in sich geschlossen. Das mag nichts für jene sein, die den kühnen Gestus des Expressionismus vorziehen — auf die bewusste Langsamkeit und Schlichtheit muss man sich einlassen können. Ans Herz legen möchte man den Film aber all jenen, die wie Nicole ein Interesse an Figuren haben, die sich selbst nicht wichtig genug finden, um ins Bild gesetzt zu werden.




Heartland
Ein Film von Maura Anderson
CA 2015, 79 Minuten,
FSK 12,
englische Originalfassung mit deutsche Untertitel,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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