Der heimliche Freund

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Die erste Liebe ist etwas Tolles. Aber wie man sie erlebt, ist auch statusabhängig: Ob man seine bürgerliche Familie enttäuschen wird oder seinen illegalen Aufenthalt im Land dadurch noch komplizierter macht, ist eben doch etwas anderes. In Mikel Ruedas zarter Romanze kämpfen zwei Jungs um ihr kleines – und auch ein bisschen verschiedenes – Glück in einem schwulen- und fremdenfeindlichen Europa.

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Foto: Edition Salzgeber

Du willst es nicht wissen

von Gunther Geltinger

Die erste Liebe ist etwas Tolles. Aber wie man sie erlebt, ist auch statusabhängig: Ob man seine bürgerliche Familie enttäuschen wird oder seinen illegalen Aufenthalt im Land dadurch noch komplizierter macht, ist eben doch etwas anderes. In Mikel Ruedas zarter Romanze kämpfen zwei Jungs um ihr kleines – und auch ein bisschen verschiedenes – Glück in einem schwulen- und fremdenfeindlichen Europa.

Am Anfang steht die Straße. In einer nächtlichen Nahaufnahme zieht das Stakkato der Fahrbahnbegrenzungsstreifen vorüber. Gefährlich nah über dem Asphalt dringt der Blick des Betrachters aus einem Versteck. „A escondidas“, so der Originaltitel des Films, heißt „heimlich, unbemerkt“. Ibrahim ist illegal von Marokko nach Spanien gekommen, vielleicht mit Hilfe von Schleusern, für die ein Mensch nur das ist, was er für ein Leben in Europa zu zahlen bereit ist. „Du willst es nicht wissen“, wird Ibrahim, Ibra genannt, später seinem Freund und Geliebten Rafa erwidern, als der ihn nach der Geschichte seiner Flucht fragt. Doch wir kennen die Antwort. Subsummiert unter anonymen Zahlen – Dutzende Flüchtlinge in einem gekenterten Boot, Hunderte stürmen den Grenzzaun von Melilla – haben die Medienbilder die Schicksale der Flüchtlinge in uns abgelegt, als Fakten und Kurzmeldungen unschädlich gemacht. Erführen wir die Details jeder einzelnen Flucht, wir würden nach den „Tagesthemen“ die Nacht schlaflos verbringen. Wir wollen es nicht wissen, und Ibra verschont uns und Rafa mit der Wahrheit. Den größten Teil des Films verbringt er in Verstecken, und von einem dieser heimlichen Aufenthaltsorte kommend, steht er am Anfang des Films auf der Straße und trampt nach Bilbao. Am Fahrbahnrand häuft sich Müll, weggeworfene Flaschen, Essensverpackungen, die Überreste des Wohlstands wie verwitternde Mahnmale in Großaufnahme.

Vom Regen überrascht flieht Ibra in eine Tankstelle, versucht, ein paar Kekse zu klauen, und wird prompt erwischt. Schon in der ersten Szene entzündet sich allzu deutlich der ethnische Konflikt, verfestigen sich die Vorurteile der Spanier gegenüber den Immigranten. „Wir klauen alle, wir Araber, was?“, bellt Ibras Freund Youssef, der plötzlich auftaucht, die Tankwärterin an und knallt das Münzgeld für die Kekse hin. Er bringt Ibra in das nächste Versteck. In der Wohnung hausen Araber, die Youssef zu Drogendealern ausbildet. Die Kriminalität, nicht die Ingenieurslaufbahn, die Ibra anstrebt, ist seine Zukunft. Youssef selbst will dieses „Scheißland“ so bald wie möglich verlassen, zusammen mit seinem kleinen behinderten Bruder, den er aufopferungsvoll pflegt. Nachts entdeckt Ibra den gelähmten Jungen im Schlafzimmer. Ein anrührendes und verstörendes Bild, das uns die Härte eines individuellen Lebens vor Augen führt, in einem Film, der dem Zuschauer die Gewalt und den Schmerz der Flüchtlingsschicksale weitestgehend erspart. Ibra selbst flieht vor dem Anblick, flüchtet vor seiner Vergangenheit und der drohenden Zukunft als Krimineller zurück in das Wohnheim für arabische Jugendliche.

In der Disko, wo die Bewohner des Heims Mädchen aufreißen wollen, feiert auch Rafas Clique, sechzehnjährige Jungs aus bürgerlichen Familien mit stylischen Frisuren, angeführt vom großmäuligen Javi, der im Testosteronrausch nur von Mösen spricht. Rafa wird von seiner Clique gedrängt, mit der hübschen Marta anzubandeln, die es auf ihn abgesehen hat. Doch am Pissoir interessieren sich seine Blicke eher für Ibra, der plötzlich neben ihm steht. In ihren sich gegenseitig abtastenden Augen steht die Fassungslosigkeit über das eigene Begehren, und dahinter lesen wir jetzt schon die Unmöglichkeit ihrer sich soeben entzündenden Liebe, sehen die Sackgasse, in der sie enden wird, oder vielmehr: die Straße, die ins Nichts führt.

Die Annäherung der beiden Jungs wird und muss stets aneinander vorbeizielen, weil der eine Europäer und der andere Araber ist, zwei Königskinder, die nicht zueinander finden können, getrennt von einem großen Wasser. Nur einmal sehen wir es, das Schicksalsmeer, das hier der Atlantik vor der Küste Bilbaos ist; verschwiegen blickt Ibra auf den Horizont. Am Strand schenkt Ibra Rafa sein in der Holzwerkstatt gefertigtes Amulett, zwei ineinandergesteckte Teile, die, so Ibra, man nicht trennen dürfe, und würden sie doch auseinandergerissen, müsse man alles dafür tun, um sie wieder zu vereinen.

Immer wieder wird es in Mikel Ruedas Film um die gerichtete Bewegung gehen, das richtige und genaue Zielen – Ibra und Rafa werfen Steine nach einer Dose, spielen Wasserball und kegeln, und wenn sich anfangs ihre Hände beim Raufen noch stürmisch und hilflos auf dem Körper des anderen verlieren, richten sich die Berührungen mit der Zeit immer bedachter hin auf den ersten Kuss, die Vereinigung, die das Ziel ist.

Doch gleichzeitig rücken Rafas und Ibras Kontinente weiter auseinander. In der Disko verprügeln Rafas Freunde Sayid, einen Jugendlichen aus dem Heim; ein rassistischer Übergriff, für den sich Rafa später bei Ibra entschuldigt. Er büßt dafür mit dem Verstoß aus seiner Clique. Sayid, der Drogendealer, von dem Javi und seine Kumpel ihr Haschisch beziehen, wird von der Polizei gewaltsam aus dem Heim geholt – und abgeschoben. Ibra greift ein und wird selbst unter Verdacht gestellt – seine Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung verschlechtern sich. „Warum schickt man sie zurück an Orte, wo sie nichts haben?“, fragt Rafa entgeistert die Wohnheimleiterin und erntet einen ratlosen Blick. Die Angst um den Geliebten lastet schwer auf Rafa. Nur der beste Freund Guille sieht die Veränderung seines Verhaltens, zeigt Verständnis und gerät in einen Loyalitätskonflikt mit seiner Clique, die weiterhin mit sexistischen und araberfeindlichen Sprüchen prahlt. Später, als Ibra die Abschiebung droht und Rafa ihn zu verstecken versucht, wird Guille dem abtrünnigen Freund und seinem arabischen Geliebtem widerwillig mit Geld aushelfen. Es ist das schlechte Gewissen Europas, das hier seinen Tribut abführt, um, freigekauft von der Schuld, verdrängen zu können. Den Gefühlsausbruch, in dem sich Rafa und Guille zum Abschied umarmen, kann man melodramatisch überzeichnet finden oder aber als Metapher für die Paranoia lesen, die tief im Bewusstsein des Europäers wurzelt, der um den Verlust seines Wohlstands und seiner Sicherheit fürchtet.

Auch Rafa ist nicht frei von dieser Angst. Er weiß für Ibra kein besseres Versteck als ausgerechnet den Partyraum, in dem seine Clique sich regelmäßig trifft – ist es Dummheit oder sind es die bereits im Unterbewusstsein unserer unschuldig verliebten Kinder wirkenden Mechanismen eines Systems, die das Eindringen des Fremden in die geschützte Bastion Europa nicht zulassen? Natürlich werden sie an diesem unmöglichen Ort von Javi und seinem Gefolge erwischt. Der Jahrmarkt mit seiner Unbeschwertheit, wohin beide flüchten, ist nur ein vorübergehendes Glitzern am Horizont, gleich den Verheißungen Europas, die die Afrikaner zu Tausenden übers Meer locken. Im Gewühl wird Ibra von Youssef entdeckt, der ihn an seine illegale Identität und an seine Unbehaustheit erinnert. Denn Youssef selbst ist nun auf der Flucht – zusammen mit dem kleinen Bruder nach Frankreich, als könnte das Leben dort besser sein. Ibra soll ihm folgen, doch noch entscheidet der sich, bei Rafa zu bleiben. Beide verletzen sich auf ihren verschlungenen Fluchtwegen, doch erst beim gegenseitigen Betasten der Wunde kommt es doch noch zu einem scheuen Kuss, der nur ein Versprechen bleibt, das nicht eingelöst werden darf. Jede tiefere Bindung würde die Wunde weiter aufreißen, den Schmerz des Abschieds ins Unendliche steigern. „Er hat sein Leben hier, du passt da nicht rein!“, ruft Youssef Ibra noch zu, bevor er in der Nacht verschwindet, auf der Migrationsachse weiter Richtung Norden.

Mikel Ruedas Coming-of-Age-and-Out-Film verzichtet für die eher konventionelle Erzählung seiner Liebesgeschichte und mit Hinblick auf das Wohlbefinden des harmoniesüchtigen europäischen Durchschnittszuschauers vielleicht bewusst auf die Rohheit und den Realismus eines Flüchtlingsdramas, das seine Geschichte auch hätte sein können – erstaunlich oder aber bezeichnend für einen Film aus dem krisenerschütterten Spanien. Dennoch erhält der Film in solchen Momenten eine größere ästhetische und politische Relevanz. Durch die schönen Bilder des sehnsüchtigen Liebesreigens sickert das Blut der Wunde, glotzt durch die Risse die Fratze des Elends, droht der Tod. Das Weichgezeichnete steht stellvertretend für die Amnesie, in der wir uns eingerichtet haben, um gut und fern vom Geschehen auf den Booten und in den Auffanglagern leben zu können. Denn Ibra muss wieder auf die Straße. Von seinem Versteck aus gesehen, verdämmern die Fahrbahnstreifen langsam im Dunkeln, wo Ibras Geschichte bald nur noch eine ist unter den abertausend Vergessenen.



Der heimliche Freund DVD
Der heimliche Freund
von Mikel Rueda
ES 2014, 88 Minuten, FSK 12,
spanische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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