Boulevard

Trailer

Kurz vor seinem Tod schlüpfte Robin Williams für „Boulevard“ in die Rolle eines unscheinbaren Bankangestellten, der nach Jahrzehnten der Selbstverleugnung endlich seinem homoerotischen Begehren nachgibt. Das klingt nach altbackener Coming-out-Narration und schablonenhaften Dramaturgie. Und leider klingt es nicht nur so. Williams macht das Melodram von Dito Montiel trotzdem zur letzten Bühne seiner großen Kunst der empathischen Vertiefung.

Foto: Pro Fun

Besser spät als nie

von Michael Kienzl

Man sieht Nolan sofort an, wenn er sich unwohl fühlt. Der schon etwas ältere Bankangestellte verkrampft dann plötzlich seinen Oberkörper, spielt nervös mit den Händen und setzt ein angestrengtes Lächeln auf. Weil er Spannungen nicht erträgt und Konflikte schon gleich gar nicht, versucht er sich so schnell wie möglich aus jeder unangenehmen Situation zu winden. Aus dem einfachen Grund, weil er es schon immer so gemacht hat. Nolans Leben ist gepflastert mit Sicherheiten: einem gemütlichen Eigenheim, einer unaufdringlich aufopferungsvollen Frau und einem Job, in dem er so unauffällig bleiben kann, dass er seinem Boss die versprochene Beförderung am liebsten wieder ausreden möchte. Als Nolan einmal gefragt wird, warum er denn seinen kranken, aber nicht besonders netten Vater pflege, verrät er mit seiner Antwort gewissermaßen seine ganze Lebensphilosophie: „Weil man das eben so macht“.

Eigentlich erzählt „Boulevard“ eine klassische Coming-out-Geschichte, verlagert sie jedoch in ein ungewohntes Milieu. Statt um einen Teenager, der seine Sexualität entdeckt, haben wir hier es mit einem erwachsenen Mann zu tun, der zwar sein Begehren kennt, es aber sein ganzes Leben lang verleugnet hat. Erst die Begegnung mit dem deutlich jüngeren Stricher Leo erlaubt es Nolan, seine Sehnsucht zu stillen. Zumindest ansatzweise. Denn Nolan begnügt sich mit einer väterlichen platonischen Beziehung, bei der man nicht sicher sein kann, ob sie sich nun konsequent aus der unterdrückten Sexualität seiner Figur entwickelt oder nur vorgeschoben wird, um ein in Sachen Männerliebe weniger aufgeschlossenes Publikum zu schonen.

Regisseur Dito Montiel macht kein Geheimnis daraus, dass der eher freudlose Alltag seines Protagonisten irgendwann mit der heimlichen Parallelwelt kollidieren muss. Langsam schleichen sich Unregelmäßigkeiten in das penibel geordnete Leben; etwa in Form eines vergessenen Weckers, der den fleißigen Arbeiter zu spät kommen lässt oder einer flapsigen Lüge, die von der Gattin sofort entlarvt wird. Die herannahende Katastrophe zeichnet sich vor allem am Körper des Hauptdarstellers ab. Robin Williams hatte in seinen Rollen oft die Neigung, ins Alberne oder Sentimentale abzugleiten. Man könnte ihm das vorwerfen. Oder aber darin eine Qualität entdecken. Denn wenn Williams etwas beherrschte, dann mit Haut und Haaren in seine Figuren einzutauchen, sie mit Spielfreude ebenso auszufüllen wie mit Menschlichkeit. „Boulevard“ bietet in erster Linie eine Bühne für seinen Hauptdarsteller. Montiel hat den Film ganz auf seinen Protagonisten zugeschnitten hat – natürlich ohne zu wissen, dass es sich hier um eine von Williams letzten Rollen handeln wird.

Der Entscheidungskampf, ob er nun das alte Leben konservieren oder sich in ein neues, ungewisses stürzen soll, kann Nolan nur mit sich selbst austragen. Es ist wohl kein Zufall, dass es, abgesehen von einem überzeichneten Zuhälter, der eine eher untergeordnete Rolle spielt,  keine wirklichen Antagonisten im Film gibt – weder einen homophoben Boss, noch eine missgünstige Frau. Im Grunde genommen steht Nolan sich und seinem Glück nur selbst im Weg. Es ist ein sympathischer Zug des Films, dass er die Nebenfiguren nicht zur Ehrenrettung des Protagonisten denunzieren muss. Allerdings bietet er ihnen auch nicht die Möglichkeit, sich zu entfalten. Dafür fehlt in dem schematischen Plot auch schlichtweg der Platz. Dass die kleineren Rollen in einem Film um die Hauptfigur angeordnet sind und dabei oft den Kürzeren ziehen, versteht sich von selbst. In „Boulevard“ sind sie aber tatsächlich nur dazu da, um dramaturgische Funktionen zu erfüllen. Unter diesen ungünstigen Voraussetzungen gelingt es nicht einmal einer routinierten Fernsehdarstellerin wie Kathy Baker mehr als eine undankbare Statistin in Nolans Befreiungskampf zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass „Boulevard“ es sich zur Aufgabe macht, seinen unglücklichen Protagonisten zu befreien, es dabei aber nicht schafft, seine eigenen Fesseln abzulegen.

 



Boulevard
von Dito Montiel
US 2015, 88 Minuten,
deutsche SF 
Pro-Fun

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